Machtkampf
Zeitungsfotograf Markus Homsheimer und Journalist Georg Sander vorsichtig näherten und mit einem dezenten »Hallo« bemerkbar machten. Häberle nahm sie ausnahmsweise nur beiläufig zur Kenntnis.
Linkohr schwieg und riskierte einen Blick in den Rettungswagen, in dem der Frau gerade eine Infusion verabreicht wurde. Er konnte ihr Gesicht aber nicht sehen.
Kommandant Bergner sah den örtlichen Polizeichef erschrocken an.
»Ja, ein Kind«, wiederholte Watzlaff betroffen.
»Aber doch nicht etwa Manuel!«, entfuhr es Häberle.
Watzlaff zuckte mit den Schultern. »Wie es heißt, weiß ich nicht.«
Häberle spürte, wie ihm etwas die Kehle zuschnürte. Er hatte in seinem langen Berufsleben viele Tote gesehen, viele Morde und scheußliche Verbrechen bearbeiten müssen – aber jedes Mal, wenn Kinder die Opfer waren, fiel es ihm schwer, die emotionale Distanz zu bewahren, die sein Job von ihm verlangte. Er musste auch jetzt an seine Enkel denken und hatte Mühe, sich auf das Geschehen zu konzentrieren. »Wer ist der Besitzer dieses Hauses?«, fragte er mit belegter Stimme.
Watzlaff antwortete, ohne zu zögern: »Mompach, Heiko Mompach.«
In Hua Hin war die Sonne schon ein ganzes Stück weit dem westlichen Horizont näher gekommen. Doch erst gegen 18 Uhr, das wusste Mompach von seinen bisherigen Aufenthalten, begann es zu dämmern. Er sah auf seine Armbanduhr. 15.30 Uhr. Er rechnete sieben Stunden zurück. Daheim war’s 8.30 Uhr.
Er zog sich ein frisches T-Shirt über und verließ in Bermudashorts und Badeschlappen sein Appartement. Freitreppen, Stege und überdachte Flure führten durch den verschachtelten und verwinkelten Gebäudekomplex, vor dem mächtige Palmen Schatten warfen. Unterwegs traf er ein Rentner-Ehepaar, von dem er wusste, dass es aus dem Ruhrgebiet stammte, grüßte freundlich und setzte seinen Weg in Richtung des großzügigen Eingangsbereichs fort, wo er heute Vormittag telefoniert hatte.
Ein paar Biegungen weiter gab es so etwas Ähnliches wie eine Rezeption, die auf einer Seite zum begrünten Innenhof geöffnet war. Hinter einer brusthohen Holzbarriere saß rund um die Uhr Wachpersonal, das auch Wünsche an die Hausverwaltung entgegennahm. Über den Schreibtischen wirbelte ein riesiger Ventilator die tropisch feuchte Luft durcheinander. Einige Aufenthalts–, Lese- und Fernsehräume grenzten an, außerdem war vor einigen Jahren auch ein größeres Zimmer mit fünf Computerplätzen eingerichtet worden.
Mit einigen Geldmünzen konnte man sich halbstundenweise ins Internet einloggen. Besonders genutzt wurde dieses Angebot, um die Onlineausgabe der Heimatzeitung zu lesen. Deshalb waren die Plätze vor den Monitoren um diese nachmittägliche Stunde, wenn daheim in Europa gerade die aktuellen Blätter erschienen, meist alle belegt. Auch jetzt saßen zwei ältere Herren vor den Bildschirmen und studierten die neuesten Nachrichten aus Deutschland.
Mompach hatte Glück, noch einen freien Platz zu ergattern. Er interessierte sich aber nicht für die Onlineausgabe der heutigen Tageszeitung, sondern um die stets aktualisierten Meldungen. Seit geraumer Zeit bot diesen Service auch die ›Geislinger Zeitung‹ an. Als sich die aufgerufene Seite öffnete, stockte ihm der Atem.
Das ganze Ausmaß des nächtlichen Brandes wurde erst bei Tagesanbruch deutlich. Obwohl unzählige Feuerwehrleute im Einsatz gewesen waren, hatten sie das alte Haus nicht mehr retten können. Die Holzbalkenkonstruktion sowie die mit vergipsten Strohmatten versehenen Wände und die Holzböden boten den Flammen reichlich Nahrung. Als sich der Novembernebel verzogen hatte und die Sonne schien, befand sich dort, wo Jahrhunderte lang ein Haus gestanden war, ein Haufen grau-schwarzer Asche, aus dem kreuz und quer liegende, halb verbrannte Balken ragten. Nur die Grundmauern erhoben sich noch rußgeschwärzt aus diesem Chaos und erinnerten an Bilder aus Bürgerkriegsregionen. Die Fensteröffnungen wirkten geradezu gespenstisch, denn die Scheiben waren geborsten und die Holzrahmen vollständig verbrannt.
Die Polizei hatte den Brandort weiträumig mit rot-weißen Plastikbändern abgesperrt, um Schaulustige fernzuhalten. Noch immer standen mehrere Feuerwehrfahrzeuge entlang der Straße, ein Gewirr von Schläuchen führte auf das zerstörte Haus zu. Überall spiegelte sich das Sonnenlicht in den rußschwarzen Wasserpfützen.
Vereinzelt flammten erneut Glutnester auf, die jedoch sofort mit einem Wasserstrahl dampfend und zischend gelöscht
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