Machtkampf
wurden.
Während Vanessa die Gelegenheit wahrgenommen hatte, sich im Morgengrauen – zum Leidwesen Linkohrs – von einer Streifenwagenbesatzung heimbringen zu lassen, harrten Häberle und der junge Beamte weiterhin an der Einsatzstelle aus. In ihren Gesichtern klebten Rußpartikel, als sie in einen Mannschaftstransportwagen stiegen, in dem Pappbecher mit heißem Kaffee herumgereicht wurden. Niemand wollte etwas sagen, denn inzwischen bestand kein Zweifel mehr, dass ein sechsjähriger Bub in den Flammen umgekommen war. »Bis zur Unkenntlichkeit verbrannt«, hatte ein Kollege aus dem Branddezernat knapp mitgeteilt. »Vermutlich wird nur ein DNA-Abgleich mit der Mutter letzte Sicherheit bringen können, ob es tatsächlich dieser Manuel war.«
Die Kriminalisten hatten noch in der Nacht von der völlig aufgelösten Linda Mompach erfahren, dass Manuels Mutter bei ihr gewesen sei, als die Feuersirene sie aufgeschreckt habe. »Diese Frau Kowick«, resümierte Häberle im Kreis der Kollegen, nachdem er einen kräftigen Schluck Kaffee genommen hatte, »diese Frau war zum Zeitpunkt des Brandausbruchs also noch bei dieser Mompach. Ihren Buben hat sie demnach allein zu Hause gelassen.«
»Ein Sechsjähriger allein«, konstatierte Revierleiter Watzlaff, »das kann alles Mögliche bedeuten.«
Linkohr strich nachdenklich über seinen Oberlippenbart und rief sich die Situation in Erinnerung, als er vor einigen Wochen mit Vanessa in diesem alten Bauernhaus gewesen war und sie sich mit Frau Kowick hatten unterhalten wollen. Das Gespräch war abrupt durch das unerwartete Auftauchen des Pfarrers unterbrochen worden. Außerdem hatte sich Manuel ziemlich widerspenstig benommen.
»Vielleicht hat er gezündelt«, meinte Linkohr. »In so einer alten Bruchbude reicht doch ein einziges Streichholz an der richtigen Stelle – und das Ding brennt wie Zunder.«
Der Kollege aus dem Branddezernat, der mit den Einsatzkräften gesprochen hatte, die als Erste eingetroffen waren, zuckte mit den Schultern. »So wie es uns berichtet wurde, muss das Haus sehr schnell in Flammen gestanden sein. Explosionsartig.« Er überlegte. »Natürlich kann es innen schon eine Zeit lang gebrannt haben, bis die Flammen dann schließlich durchs Dach sind. Aber ob ein zündelndes Kind im Haus bleiben würde, wenn es merkt, dass ein Teppich oder ein Vorhang Feuer gefangen haben, das vermag ich nicht zu beurteilen.«
»Vielleicht hat es dann Angst und will löschen«, warf ein anderer Uniformierter ein.
»Natürlich hatte der Bub keine Chance, wenn’s ganz plötzlich lichterloh und explosionsartig gebrannt hat und er schon im Bett war. Die Schlafzimmer von Mutter und Kind waren im Dachgeschoss, also dort, wo es genügend Holzvertäfelungen und Balken gab«, meinte der Brandexperte.
Häberle war ohnehin jedes Mal aufs Neue überrascht, dass es in so einem Schutthaufen überhaupt gelingen konnte, irgendwelche Rückschlüsse zu ziehen. »Und wenn wieder einer eine Kerze aufgestellt hat …?«
»Ich weiß, woran du denkst, August«, fiel ihm der Kollege ins Wort. »Wie vor einigen Wochen beim Mompach. Das kann man zwar nicht ausschließen, aber hier liegt der Fall doch anders: Wir haben’s mit einem bewohnten Haus zu tun. Da kann nicht irgendjemand eine Kerze reinstellen, die stundenlang unbemerkt brennt – es sei denn im Keller, aber da würde sie ja wohl kaum großen Schaden anrichten. Aber falls irgendwo eine Kerze im Spiel war und sich Kerzenwachs in die Asche gemischt hat, werden es die Jungs vom Landeskriminalamt und ein Sachverständiger rauskriegen. Sie sind schon auf dem Weg.«
Häberle brummte etwas, das niemand verstand. Dann wandte er sich an Linkohr: »Ich hab’s doch geahnt, dass hier oben etwas nicht stimmt. Jetzt soll mir bloß keiner sagen, dass all diese Geschichten nichts miteinander zu tun haben.«
Watzlaff nickte und bekräftigte Häberles Einschätzung. »Am Schreibtisch sieht das halt immer anders aus als vor Ort. Aber wen interessiert schon, wie’s an der Front auf und zu geht?« Sie waren sich wieder einmal einig.
Noch bevor der Brandexperte etwas erwidern konnte, erschien an der Tür des Fahrzeugs ein junger Beamter, der den Bürgermeister herbegleitet hatte. Hugo Benninger war bereits in der Nacht am Einsatzort gewesen und wollte sich nun über den aktuellen Stand der Ermittlungen informieren lassen. Häberle bat ihn in den geräumigen Kleinbus, wo einer der Uniformierten aufstand und seinen Platz für den Gast frei machte.
Weitere Kostenlose Bücher