Machtkampf
widerwillig in die vernebelte Stadt an der Albkante gefahren, um in der dortigen Kriminalaußenstelle noch einmal seine Meinung über Manuel und dessen Mutter Sandra darzulegen. »Mensch, Junge«, klopfte ihm Häberle vor der versammelten Mannschaft der Sonderkommission auf die Schulter, »freu dich doch, dass du mal wieder eine Dienstreise ins schöne Geislingen machen durftest.«
Wissmut winkte ab. »Leute«, sagte er, »mich könntet ihr höchstens mit einer Dienstreise nach Thailand locken – aber nach Geislingen?«
»Wieso Thailand?«, fuhr Vanessa dazwischen und zog als das einzige weibliche Wesen im Raum die Blicke der Männerrunde auf sich.
Wissmut wurde verlegen. »Na ja, ich lese ja schließlich auch die Akten. Eure ›schweren Jungs‹ von der Alb sollen doch auch mal dort gewesen sein.«
»Bravo«, lobte Häberle, »gut aufgepasst – oder hat dich nur das Wort ›Thailand‹ dazu animiert, alles ganz genau zu lesen?«
»Nein, August, es war wirklich die pure Dienstbeflissenheit. Denn nachdem mich der Ruf aus Geislingen ereilt hat, hab ich mal schnell so durchgelesen, was ihr in den letzten Wochen zusammengetragen habt. Außerdem …«, er wurde ernst, »… hat mich die Sache mit dem Kind ziemlich getroffen.«
»Du bist der Einzige von uns, der sowohl Manuel als auch seine Mutter genauer gekannt hat«, erklärte Häberle mit belegter Stimme. »Wie würdest du die Familienverhältnisse insgesamt einschätzen?«
Wissmut hatte sich auf einen Drehstuhl gesetzt und die Arme verschränkt. »Die waren natürlich nicht vom Feinsten. Ich weiß, worauf ihr hinauswollt: ob den Eltern – oder einem davon – zuzutrauen wäre, das Kind umgebracht zu haben. Was soll ich dazu sagen? Wir alle hier können nicht nachvollziehen, dass Eltern ihr eigenes Kind töten. Und doch passiert das öfter, als wir denken.« Er sah in betretene Gesichter. »Aber dass der kleine Manuel nicht gerade ein verhätscheltes Kind war, dürfte klar sein. Am merkwürdigsten erscheint mir persönlich die Rolle des Vaters, der sich offenbar überhaupt nicht um sein Kind gekümmert hat, obwohl er im gleichen Ort wohnt …«
»… und in der vorletzten Nacht, als es gebrannt hat, in Bregenz war, mit Freunden – in einer Disco«, schob Linkohr nach. »Was diese Freunde im Übrigen bestätigen. Das haben wir gestern Abend noch gecheckt.«
Vanessa ergänzte: »Und auf meine Frage, ob es denn noch etwas anderes gebe, was uns in Rimmelbach bisher verborgen geblieben sei, hat er meinem Empfinden nach ein bisschen zu schnell Nein gesagt.«
»Na, seht ihr, das deckt sich mit meiner Einschätzung«, fühlte sich Wissmut bestätigt. »Aber ich hab gehört, auch die Schulleiterin sei nicht ganz außen vor …?«
Einer aus der Kollegenrunde griff die Bemerkung auf: »Dass ausgerechnet ihr angeblich verlorener Schulhausschlüssel bei Hartmann daheim in der Schublade lag, lässt tief blicken.« Er grinste. »Das Ding wurde wohl beim Liebesabenteuer verloren und von Hartmann nicht mehr zurückgebracht.« Ein anderer aus der Ermittlergruppe fügte an: »Außerdem hat sie Kontakt zu Manuels Eltern, aber auch zu unserem Pfarrer, der mir ohnehin ziemlich suspekt erscheint.«
»Mir auch«, meinte ein älterer Kollege, der mit dem Gesäß am Fenstersims lehnte. »Vergesst nicht, dass er am Tag von Hartmanns Selbstmord mit schmutzigen Schuhen bei uns hier aufgetaucht ist. Er behauptet zwar, unterwegs pinkeln gewesen zu sein, doch könnte er genauso gut auf dem Hochsitz gewesen sein.«
Häberle, der bei derlei Diskussionen meist am Türrahmen lehnte, hob beschwichtigend die Hände: »Der Pfarrer als der Ungeliebteste vom ganzen Ort. Aber vielleicht auch der ärmste Hund von allen. Er hat sich vermutlich zwischen alle Stühle gesetzt, als er damit angefangen hat, auch noch den Selbstmord von diesem Marquart an Karfreitag zu hinterfragen.« Der Chefermittler wartete ein paar Sekunden, bis sich eine beginnende Diskussion wieder legte. »Kugler ist einigen Herrschaften mit Sicherheit ein Dorn im Auge. So einen Revoluzzer-Pfarrer auf der Alb – das hat irgendwie nicht gepasst. Trotzdem sollen sich die Kontrahenten noch in Sicherheit wähnen. Und wir haben genügend Zeit, uns auf ein paar Kernpunkte zu konzentrieren.« Alle im Raum wussten jetzt, dass ihr Chef bereits eine klare Strategie ausgearbeitet hatte. »Erstens, wir drängen auf eine Hausdurchsuchung bei Igor. Zweitens, wir versuchen rauszukriegen, wo dieser Igor ist und wo sich Heiko Mompach
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