Machtkampf
ebenfalls zu frühen Zeitpunkten im Osten hatten Geschäfte machen wollen, waren in diesen Jahren oftmals kurzerhand liquidiert worden.
Hartmann hatte solche Gedanken verdrängt. Mittlerweile waren über zwei Jahrzehnte ins Land gezogen und die wirtschaftlichen Verhältnisse in diesen Ländern einigermaßen stabilisiert, auch wenn vieles nach anderen Gesetzmäßigkeiten ablief und es notwendig war, die richtigen einflussreichen Persönlichkeiten mit Zuwendungen zu bedenken. Aber wenn es gelang, eine sogenannte Win-win-Situation herzustellen, sodass jeder Geschäftspartner seine Gewinne und Vorteile davon hatte, dann konnten die Beziehungen auch mit osteuropäischen Staaten funktionieren.
Igor war von Hartmanns Ideen begeistert gewesen – insbesondere, weil die Tätigkeit viele Reisen versprach. Der junge Mann hatte deshalb gleich seinen Job in Heidenheim gekündigt und war Angestellter bei Hartmanns Ex- und Import GmbH geworden. Dass diese ihren Sitz in Berlin hatte, war ihm anfänglich zwar seltsam vorgekommen. Doch Hartmann hatte es mit seiner überzeugenden Art geschafft, die Bedenken zu zerstreuen: Berlin sei lediglich eine ›kleine Filiale‹ und die Adresse in der Hauptstadt diene nur dazu, seriös und somit vertrauenerweckend auftreten zu können. In Berlin gebe es eine Kontaktperson, die den Briefkasten leere und die Post nach Böhmenkirch weiterleite. Den Begriff ›Briefkastenfirma‹ hatte Hartmann vermieden.
Für den heutigen Nachmittag war für Igor und seinen Chef ein Flug von Stuttgart nach Moskau gebucht. Inzwischen hatte der junge Mann aufgehört, diese Flüge zu zählen. Drei- bis viermal pro Monat war er bisher durchschnittlich unterwegs gewesen, oft auch in Begleitung Hartmanns. Nach der Ankunft am Abend wollten sie heute den Manager eines großen Viehhandelskonzerns treffen, der offenbar riesige Ländereien in Zentralsibirien besaß. Und nach dem Geschäftlichen war der Besuch eines sündhaft teuren Etablissements fest eingeplant, dessen Inhaber Hartmann angeblich gut kannte.
Igor wollte vor der viertägigen Reise noch einige Fragen mit seinem Chef klären, doch waren alle Versuche, ihn telefonisch zu erreichen, gescheitert. Erst als Igor die Handynummer gewählt hatte, meldete sich eine Männerstimme mit einem knappen »Hallo«. Weil diese ihm aber nicht vertraut war, zögerte er: »Bin ich nicht mit dem Anschluss von Hartmann verbunden?«
»Doch, das sind Sie«, kam es zurück. »Aber Herr Hartmann ist im Moment nicht erreichbar.«
»Nicht erreichbar?«, fragte Igor vorsichtig. »Und wo ist er?«
»Das sollten wir vielleicht persönlich bereden. Hier spricht die Polizei.«
Igor schluckte. Beinahe wäre ihm der Hörer aus der Hand geglitten. »Polizei? Wieso das denn?« Ihm kam mit einem Schlag die letzte Geschäftsreise in Erinnerung, als er und Hartmann in der Nähe von Moskau einen Mann getroffen hatten, den Hartmann hinterher als ›Mafioso‹ tituliert hatte.
»Bitte nennen Sie uns Ihren Namen«, forderte die Stimme im Telefon.
»Igor«, sagte der junge Mann, »Igor Popow. Ich bin bei Herrn Hartmann angestellt. Aber was ist denn passiert?«
»Wo sind Sie gerade?«
»Zu Hause. Hier, in Böhmenkirch, in meiner Wohnung.«
»Adresse?«
Igor fühlte sich überrumpelt und war nicht in der Lage, dem Drängen etwas entgegenzusetzen. »Klosterstraße«, sagte er deshalb, ohne zu zögern.
Die Stimme forderte ihn auf, möglichst sofort zur Kriminalaußenstelle nach Geislingen zu kommen.
»Aber Herr Hartmann und ich gehen heute Nachmittag auf Geschäftsreise. Wir müssen zum Flughafen.«
»Ich befürchte, dass daraus nichts wird«, kam es zurück. »Also bitte, kommen Sie unverzüglich. Sonst müssten wir Sie offiziell einbestellen.«
»Okay«, gab sich Igor geschlagen. Er hatte weiche Knie bekommen.
Die Pressekonferenz verlief ziemlich unspektakulär. Georg Sander hatte auch nichts anderes erwartet. Allerdings hatte das Thema ›Jäger‹ auch einige auswärtige Medienvertreter in den kleinen Schulungsraum des Polizeireviers gelockt. Die ›Filstalwelle‹ war mit einer Videokamera vertreten, die ›Stuttgarter Zeitung‹ mit einem seriös dreinschauenden Redakteur und ›radio7‹ aus Ulm mit der sympathischen Journalistin Kerstin Wecker, die längst Land und Leute von Alb, Oberschwaben und Bayrisch-Schwaben kannte und sich auf deren Mentalität einstellen konnte. Teams von Sat1 und RTL hielten sich im Hintergrund, weil sie anschließend den neuen Kripochef Jürgen Klauber
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