Machtkampf
Landwirtschaft nur noch leben, wenn sie eine bestimmte Größe hat. Deshalb bleibt den Jungen auf den Höfen meist nichts anderes übrig, als zu verkaufen oder zu verpachten und in die Fabrik zu gehen, wie man auf dem Land sagt. Zum Glück haben die meisten jungen Männer hier eine anständige Lehre machen können.«
»Es ist sicher keine leichte Entscheidung, so einen Hof aufzugeben«, schaltete sich Homsheimer ein, der seine Kamera wieder verstaute.
»Natürlich nicht. Da spielen sich innerhalb der Familie Dramen ab – vor allem, wenn die Alten noch da sind, die sich von ihrem Lebenswerk nicht trennen wollen.«
Sander nickte. »Aber die meisten haben inzwischen aufgegeben?«
»Drei sind noch im Haupterwerb Landwirte, dazu gehört Mompach. Daneben haben wir neun Nebenerwerbslandwirte. Aber in den vergangenen 17 Jahren, seit ich hier Bürgermeister bin, sind elf Hofstellen aufgegeben worden. Aber das sieht überall auf der Alb ähnlich aus. Der ländliche Charakter geht verloren. Ich persönlich bin deshalb strikt dagegen, dass wir unser Ackerland in Baugebiet oder gar in Gewerbegebiet umwidmen – so wie sie’s drüben in Luizhausen getan haben oder, noch schlimmer, drüben in Türkheim. Viele Gemeinden glauben, mit Gewerbegebieten ihre maroden Finanzen retten zu können. Aber das ist eine Milchmädchenrechnung, meine Herren. Der große Geldsegen aus Steuern bleibt in den meisten Fällen aus, weil die Unternehmer genügend Schlupflöcher und Abschreibungsmodelle parat haben.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr«, warf Homsheimer ein.
»So ist es doch«, fühlte sich der Bürgermeister bestätigt. »Wie wollen wir denn in 30 Jahren die Weltbevölkerung ernähren, wenn wir alles zubetonieren? Irgendwo hab’ ich kürzlich gelesen, dass schon ab 2025, also in zwölf Jahren bereits, mehr als die Hälfte der Landmasse für Wohnen und Landwirtschaft genutzt werden wird, und 2050, wenn die Weltbevölkerung auf 9,3 Milliarden angewachsen ist, das globale Ökonetz kollabieren wird.« Er lehnte sich mit sorgenvollem Gesicht zurück. »Dies geschieht, sobald mehr als die Hälfte der kleinen Ökosysteme zerstört ist. Die Experten sagen, dass dann das ökologische Gleichgewicht zusammenbricht – und zwar nicht schleichend, wie man dies bisher annimmt, sondern es wird kippen, sobald der kritische Punkt erreicht ist. Wie eine chemische Reaktion vor einer Explosion. Die tritt nicht schleichend ein, sondern schlagartig, wenn das ideale Gemisch erreicht ist.«
Sander staunte, dass sich ein Dorfbürgermeister mit solch globalen Themen auseinandersetzte. »Aber Sie sagten, weitere Flächen würden in Rimmelbach nicht in Anspruch genommen.«
»Nicht, solange ich hier was zu sagen habe«, versicherte er und machte schon rein äußerlich den Eindruck, der Fels in der Brandung sein zu wollen. »Es gibt immer mal wieder Bemerkungen im Gemeinderat, aber die elf Mitglieder«, er grinste, »kriegt man einigermaßen in den Griff. Meist sind es ohnehin private Interessen, die verfolgt werden, um Ackerland als Baugebiet verkaufen zu können. Aber Gott sei Dank haben bei der Ausweisung von Bebauungsplänen auch der Landkreis und die Region ein Wort mitzureden. Wenngleich man dort meist schnell in die Knie geht, wenn ein Unternehmer neue Arbeitsplätze verspricht – und seien’s nur Halbtagsstellen für Gabelstaplerfahrer. Dann wird den Verantwortlichen doch ganz schnell der rote Teppich ausgerollt.«
Homsheimer nickte eifrig. Ihm gefiel es, wie nüchtern der Mann die aktuelle Situation einschätzte – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Kommunalpolitikern, die in besten Sonnen- und Aussichtslagen Gewerbegebiete auswiesen und eine Landschaft verhunzten, die in ihrer bisherigen Unberührtheit eher für den sanften Tourismus geeignet gewesen wäre.
Sander sah jetzt auch auf die Uhr. Zwar waren sie mit ihrem eigentlichen Thema nicht viel weitergekommen, dafür aber hatten sie sich nett unterhalten. »Der Herr Hartmann hatte aber mit solchen Problemen nichts zu tun?«, fragte er eher beiläufig, um das Gespräch wieder auf den Ausgangspunkt zurückzubringen.
»Nein. Jedenfalls soweit ich das einschätzen kann. Sein Interesse galt anderen Geschäften, wie ich sagte.«
Sander und Homsheimer standen auf, um die Pressekonferenz nicht zu verpassen. Doch bevor sie dem Bürgermeister zum Abschied die Hände reichen konnten, wollte Benninger noch eine Bemerkung loswerden: »Unruhe gibt es im Ort nur, weil der angebliche Selbstmord Hartmanns hier
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