Machtkampf
kräftig reingekriegt, sagte ihm eine innere Stimme. Du hast dich übernommen. Alles war eine Nummer zu groß für dich.
Aber, so beruhigte er sich, während er unter der lauwarmen Dusche stand, du wirst ab heute Abend, wenn alles gelaufen ist, deinen Frieden finden.
Und wenn doch nicht? Wenn die Drohungen und Erpressungen weitergingen? Wäre es nicht besser, selbst aktiv zu werden, anstatt ein Leben lang befürchten zu müssen, wieder unter Druck gesetzt zu werden? Konnte er überhaupt noch jemals ruhig in Rimmelbach leben? Denn die Probleme, die dort auf ihn warteten, waren vermutlich noch viel größer als jenes, das er hier aus der Welt zu schaffen hoffte. Und Sandra. Was würde mit ihr geschehen, jetzt, wo Manuel tot war und sie weiterlebte? Und der Pfarrer?
Während eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei mit mehreren Fahrzeugen auf dem Hof des Geislinger Polizeireviers eintraf, wo Linkohr den Chef dieser Truppe mit den Details der Suchaktion vertraut machte, hatte sich Häberle trotz der späten Abendstunde bei Rimmelbachs Bürgermeister Benninger telefonisch angekündigt. Der Mann war nicht gerade erfreut gewesen, musste sich dann aber dem Wunsch des Kriminalisten beugen. Knapp eine Viertelstunde später traf Häberle vor dem schmucken Einfamilienhaus ein, das in einer Neubausiedlung am Rande Rimmelbachs stand.
»Muss das jetzt noch sein?«, empfing ihn Hugo Benninger, der ihm in Jeans und Rollkragenpullover gegenüberstand. »Hätt’s dies nicht auch noch morgen im Rathaus getan?«
Häberle entschuldigte sich und murmelte: »Es geht um viel, Herr Benninger.« Mehr wollte er ihm zwischen Tür und Angel nicht sagen, schon gar nicht, dass derzeit eine Suchaktion nach dem vermissten Pfarrer anlief.
Benninger führte den Kriminalisten durch den hellen Flur zu einem kleinen Büro, dessen Tür er hinter sich ins Schloss drückte. Häberle schien es, als wolle Benninger vermeiden, dass möglicherweise seine Ehefrau das Gespräch belauschen konnte. Die beiden Männer setzten sich um die abgerundete Seite des Schreibtisches.
»Ich wäre nicht gekommen, wenn es uns nicht äußerst wichtig erschiene«, erklärte Häberle. »Um es klar zu sagen: Nach dem Tod des Jungen spitzt sich die Lage zu.«
»Sie brauchen mir nicht zu sagen, was hier im Ort los ist. Die Gerüchte schießen ins Kraut. Unfassbar, was die Leute so verzapfen.« Benninger umklammerte die Armlehnen seines Bürostuhles.
»Genau darum geht es«, fand Häberle jetzt den Anknüpfungspunkt. »Wir haben uns gestern hier getroffen, bei uns im Einsatzfahrzeug. Sie werden sich entsinnen, dass Herr Melzinger mit diesem Pfeil gekommen ist …«
»Der Melzinger, ja«, bestätigte Benninger und fasste sich ans Kinn, »der Landwirt, dem das Waldstück da draußen gehört.«
»Daraufhin«, machte Häberle langsam weiter, »habe ich Sie gefragt, ob Sie jemanden kennen, der mit Pfeil und Bogen umgehen kann.«
Benningers Gesichtsausdruck veränderte sich. »Ich kann mich entsinnen, ja.«
»Sie sagten ›Nein‹ – richtig?«
Der Bürgermeister schien zu begreifen, dass er in eine Falle gelockt werden sollte. »Das ist richtig – nur versteh ich nicht, was Sie …«
»Das sag ich Ihnen gleich«, unterbrach ihn der Chefermittler, während das schnell anschwellende Knattern eines Hubschraubers zu vernehmen war. Häberle ahnte, dass die Suchaktion nach Kugler begonnen hatte, ließ sich davon aber nicht ablenken. »Wenn ich richtig informiert bin, waren Sie vor vier Wochen auch auf der Beerdigung von Hartmann«, machte er weiter. »Richtig?«
Benninger zeigte jetzt keine Regung mehr, als habe ihn das ohrenbetäubende Donnern des tieffliegenden Helikopters gelähmt.
»Ich geh davon aus, dass es so ist«, fuhr Häberle fort. »Dort aber hat der Vertreter eines Bogenschützenvereins die Verdienste des Herrn Hartmann hervorgehoben. Ein großer Mäzen des Vereins sei der gewesen. Ist Ihnen diese Rede entgangen?«
Benninger war sichtlich irritiert. Seine voluminöse Brust dehnte den Pullover und ließ auf einen tiefen Atemzug schließen. Nachdem er einige Augenblicke überlegt hatte, erklärte er mit der Kaltschnäuzigkeit eines mit allen Wassern gewaschenen Politikers: »In der Tat, Herr Kommissar, das muss mir entgangen sein. Wie das so ist, wenn man dasteht und eine Rede nach der anderen über sich ergehen lassen muss. Da schweifen die Gedanken manchmal ab. Geht Ihnen das nie so?«
Häberle ließ sich nicht beeindrucken, sondern riskierte einen
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