Machtkampf
separat interviewen wollten.
Klauber, der aus Göppingen angereist war, hatte zwischen dem Polizeipressesprecher Lauer und dem ebenfalls neuen Leitenden Oberstaatsanwalt aus Ulm, Christof Schwehr, Platz genommen. Dieser war vor Kurzem Nachfolger von Dr. Wolfgang Ziegler geworden und nun erstmals zu einem großen Fall nach Geislingen gekommen. Sander verfolgte gespannt, ob sich der Neue in den Vordergrund drängte.
Dass Häberle fehlte, erstaunte den Journalisten nicht. Der beliebte und erfolgreiche Kommissar mied es, so gut es ging, öffentlich aufzutreten. Er war kein Mann der großen Worte, sondern der Taten. »Das Schwätzen überlass ich anderen«, pflegte er meist zu sagen, wenn jemand versuchte, ihn vor ein Mikrofon oder eine Kamera zu zerren. Er vertiefte sich lieber in seinen Fall, verstand es trefflich, sowohl mit den höheren Gesellschaftsschichten als auch mit dem ganz normalen Bürger in Kontakt zu kommen. Und er hielt nichts von jenen, die nach einem Studium der Polizeihochschule glaubten, »die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben«. Zwar war ein gewisses Pensum an theoretischem Sachverstand nötig, um sich im heutigen Dschungel der Justiz zurechtzufinden, doch zählte für ihn die praktische Arbeit am allermeisten: »Vor Ort spielt die Musik«, legte er den jungen Kollegen ans Herz, wenn diese glaubten, ihre Fälle am Computer lösen zu können. »Ihr müsst mit den Leuten schwätzen«, empfahl er, »und zwar so schwätzen, dass sie’s verstehen.« Berühmt war eine Anmerkung, die er besonders gerne von sich gab, wenn Kollegen von nördlich der Mainlinie anwesend waren: »Hier auf dem Land sind wir stolz darauf, dass wir alles können außer Hochdeutsch.«
An all dies musste Sander denken, als der Polizeipressesprecher die Medienvertreter begrüßte und die beiden Männer neben sich vorstellte. Der Chef der Polizeidirektion war ebenfalls nicht anwesend, zumal er dieses Amt nur kommissarisch innehatte, seit der eigentliche Stelleninhaber nach Stuttgart abgeordnet war – wegen eines angeblichen Dienstvergehens, das sich jedoch als feige Denunziation eines anonymen Anzeigeerstatters erwiesen hatte. Nach über einjährigen Ermittlungen, die an den Nerven des einstigen Polizeichefs gezehrt hatten, war er zwar vollständig rehabilitiert worden – doch zurück auf seinen Chefsessel, den er einst mit viel Engagement innehatte, durfte er trotzdem nicht mehr. Und obwohl nach außen hin versichert wurde, sein neuer Job in Stuttgart sei viel anspruchs- und verantwortungsvoller, war der Mann innerlich zutiefst betrübt und geknickt. Mochte er auch im Umgang mit den Beamten nicht gerade den feinsten Ton gepflegt haben, so blieb doch für alle der schale Nachgeschmack, wie schnell man durch eine anonyme und darüber hinaus sogar noch falsche Anschuldigung ins Abseits gedrängt werden konnte.
Nachdem auch der neue Leiter der Staatsanwaltschaft ein paar Worte an die Journalisten gerichtet hatte, durfte Kripochef Jürgen Klauber endlich zur Sache kommen. Er referierte kurz und prägnant, dass es sich um einen »unklaren Todesfall« handle. »Nach Lage der Dinge steht aber eindeutig fest, dass Herr Hartmann durch seine eigene Jagdwaffe zu Tode gekommen ist«, erklärte er im Bürokratendeutsch. »Wir haben jedoch Grund zu der Annahme, dass unmittelbar davor oder danach noch eine zweite Person auf dem Hochsitz gewesen sein muss.« Er erwähnte die Schmutzspuren auf der Leiter und auf dem Bretterboden neben der Leiche. »Wie wir wissen, ist in der Zeit zwischen 16 und 17 Uhr ein kurzes Gewitter über die Alb hinweggezogen. Bei der Wetterwarte Stötten, die Luftlinie keine zehn Kilometer entfernt ist, sind pro Quadratmeter acht Liter Wasser gefallen. Wie viel es zwischen Böhmenkirch und Rimmelbach waren, darüber lässt sich nur spekulieren. Fest steht aber, dass es am Tatort ebenfalls geregnet haben muss. Noch beim Eintreffen der Einsatzkräfte war das Erdreich im Bereich des Hochsitzes deutlich feucht. Und zuvor hat es vor drei Tagen geregnet.«
»Gibt es denn Fußspuren?«, fragte Kerstin Wecker von radio7 dazwischen.
»Dazu komm ich gleich«, wehrte Klauber ab. Er wollte zuerst seinen vorbereiteten Text loswerden. »Gefunden haben wir auch einen Knopf, der möglicherweise von einer Arbeitskleidung stammt. Unklar ist allerdings, ob er der gesuchten zweiten Person zuzuordnen ist oder ob er schon längere Zeit in dem Hochsitz lag.« Er räusperte sich und nahm ein zweites Blatt zur Hand, auf dem er
Weitere Kostenlose Bücher