Machtkampf
Kinderpsychologen interessiert hatte.
Nachdem sich der Junge auf den Weg zum Nachmittagsunterricht gemacht hatte, schlüpfte Sandra in ihre Arbeitskleidung und fuhr mit ihrem verrosteten Dreigang-Fahrrad die paar Hundert Meter bis zum Hochsträßhof. Kaum hatte sie dort die Scheune betreten, in der gerade eine Anhängerladung Kartoffeln angeliefert wurde, kam ihr Mompach entgegen. »Und, wie war’s?«, fuhr er sie ohne Begrüßung an. »Du bist ja ganz blass.«
»Alles okay«, erwiderte sie schwach. »Manuel tut sich halt schwer.«
»Was heißt das – er tut sich halt schwer?«, bläffte er.
»Er hat alles geschildert. Aber es hat fast zwei Stunden gedauert.«
»Zwei Stunden, um das zu sagen?« Mompach schob seine blaue Schildmütze nach hinten.
»Was glaubst du denn, wie so was abgeht?« Sandra wich verängstigt seinen Blicken aus. »Manuel ist sechs. Da kannst du nicht erwarten, dass er antwortet wie ein Großer.«
»Es bleibt dabei, Sandra«, wurde er sanfter, »du kriegst von mir jede Hilfe, die du brauchst. Das weißt du.«
Sie sah ihm jetzt in die Augen. »Und wenn sie Manuel nicht glauben? Meinst du, sie nehmen ihn mir dann weg?«
»Ach was«, wiegelte Mompach ab. »Wieso sollten sie ihn dir wegnehmen? Dann werden sie halt sagen, der Sechsjährige neigt zu Fantastereien. Da kannst du doch nichts dafür.«
»Sie werden sagen, ich vernachlässige ihn«, ließ Sandra jetzt ihren Gefühlen freien Lauf. »Sie werden ihn in ein Heim stecken und mich vielleicht einsperren.«
»Ach, jetzt hör doch auf«, wurde Mompach gereizt. »Kein Mensch wird dich einsperren, nur weil du deinem Kind geglaubt hast und diesem Lüstling von Pfaffen das Handwerk legen willst.«
»Aber wenn das alles rauskommt, Heiko – wenn erst mal die Zeitung darüber berichtet …«
»… dann wirst du als Mutter sagen, dass der Manuel herausgehalten werden muss. Und du wirst keine weiteren Kommentare dazu abgeben.«
»Und Arnold? Er ist immerhin offiziell sein Vater.«
»Aber du hast doch das Sorgerecht zugesprochen bekommen«, konterte Mompach. »Außerdem ist Arnold ein Taugenichts. Das weißt du so gut wie ich.« Der Klang seiner Stimme war hart.
Sandra wollte sich ihrer Arbeit in der Scheune zuwenden, doch Mompach hielt sie an der Schulter fest. »Moment«, er war ihr einen Schritt nachgegangen. »Noch was.« Das war der Tonfall, der sie im Innersten traf.
»Ja?«
»Bist du vergangene Nacht noch mal hier auf dem Hof gewesen?«
Sandra erschrak über die Art und Weise, wie er das sagte.
»Hier? Ich? Das weißt du doch. Wir haben miteinander am Feuer gesprochen.«
»Ich meine nicht am Feuer, sondern später.«
»Später? Was hätte ich denn hier tun sollen?«
»Es war nur eine Frage«, wurde er wieder sanftmütiger. »Ich will nur ausschließen, dass du es warst. Denn irgendjemand muss später noch drüben am Feuer gewesen sein – mit Schuhen, die eine kräftige Sohle haben.« Er sah an ihrem blauen Arbeitsanzug herunter. Sie trug feste Arbeitsschuhe, wie sie üblicherweise in der Landwirtschaft benutzt wurden.
»Ich war das nicht«, erwiderte sie zögernd. »Da musst du nach jemand anderem suchen.«
»Nur zur Klarstellung: Ich schätze dich und deine Arbeit sehr. Das weißt du. Und ich unterstütze dich auch, wo es geht. Aber vergiss bitte nicht, dass du hier die Angestellte bist. Und dass du nur zu tun hast, was zu deinen Aufgaben und Pflichten gehört.« Er hielt sie an beiden Schultern fest und sah ihr tief in die Augen: »Ich verlange für das, was ich für dich tue, absolute Loyalität. Haben wir uns da verstanden?«
Sander war irritiert zur Redaktion gefahren. Zwar hätte er die Kollegin von radio7 gleich nach Ende der Pressekonferenz fragen können, worauf sie mit ihrer Bemerkung angespielt hatte, doch erschien es ihm sinnvoller, dies jetzt nach der Mittagspause telefonisch zu tun. Er kannte die Frau von gemeinsamen beruflichen Terminen. Um zu vermeiden, dass seine Kollegen lange Ohren bekamen, hatte er sich mit seinem Handy in einen Nebenraum zurückgezogen, um von dort aus ungestört das Telefonat führen zu können. »Tut mir leid, wenn ich einfach so anrufe«, begann er, »aber deine Bemerkung von heute Vormittag hat mich hellhörig gemacht.« Er schmeichelte der Kollegin mit dem Hinweis, dass sie ohnehin das »schnellere Medium« vertrete und gewiss noch heute in den Nachmittagsnachrichten darüber berichten werde, weshalb sie ihm doch schon jetzt einen Tipp geben könne. »Die Zeitung kommt sowieso
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