Machtkampf
nur allzu gut, dass es zwischen schönen Worten und der Realität oftmals eine riesige Diskrepanz gab. Mit einer Predigt allein war’s leider nicht getan. Man musste an die Worte glauben, an den Inhalt der Sätze – und an die Macht der Gedanken, die sich daraus formten und die auch ein Teil der großen Schöpfung waren. Kugler spürte, dass sich etwas in ihm gegen die negativen Einflüsse auflehnte. Etwas, das ihm vielleicht wieder Energie bescherte, um den Kampf gegen das Böse aufzunehmen. Warum sollte ausgerechnet er aufgeben? Er, dessen Glaube an Gott unerschütterlich war. Er, der sich in der Bibel zurechtfand wie kaum ein anderer Landpfarrer.
Wenn es Engel gab, die manchmal als solche unerkannt in Menschengestalt erschienen, dann gab es auch Dämonen, Mächte des Bösen, die in gleicher Weise in der Welt ihr Unwesen trieben. Und womöglich war Rimmelbach voll davon.
Er erschrak bei diesem Gedanken.
Linkohr hatte nach dem Gespräch mit dem Bürgermeister kurz mit Häberle telefoniert und war dann zur Grundschule von Rimmelbach gefahren. Von Benninger wusste er, dass die Rektorin in diesen späten Nachmittagsstunden noch dort sein würde.
Der Kriminalist parkte seinen Polo abseits des bunten Eingangs und ging die paar Schritte durch den Hof. Im hellen, aber unerwartet stillen Foyer orientierte er sich an einer Hinweistafel und fand das Rektorat am Ende eines Flures. Ein Namensschild mit der Aufschrift ›K. Stenzel, Schulleiterin‹ zeigte ihm, dass er richtig war.
Er klopfte und als er ein »Ja, bitte« vernahm, öffnete er die Tür.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie so überfalle«, sagte er, »mein Name ist Linkohr, Mike Linkohr. Ich komme von der Kriminalpolizei Geislingen.« Er zog seine Dienstmarke heraus und kam näher. Karin Stenzel erhob sich hinter ihrem Schreibtisch und Linkohr schien es, als friere ihr anfangs gezeigtes Lächeln augenblicklich ein.
»Kriminalpolizei?« Sie schüttelte ihm die Hand und zupfte sich anschließend die Jacke zurecht. »Ich hoffe, es ist nichts Ernstes passiert.« Sie deutete ihm mit einer Handbewegung, dass er sich an einen kleinen Besuchertisch setzen solle. Dann schob sie sich energisch einen Stuhl heran und musterte den Kriminalisten, als könne sie es noch nicht glauben, dass er ein leibhaftiger Ermittler war.
Er schätzte sie auf Mitte 30 und registrierte mit Kennerblick, dass sie einen Ehering trug. Für ihr Alter schon ganz schön Karriere gemacht, dachte er. Allerdings war es auch nicht gerade eine große Führungsposition, Leiterin einer winzigen Grundschule auf der Alb zu sein.
»Sie werden mir sicher gleich sagen, was Sie zu mir führt«, gab sie sich selbstbewusst und schlug ihre Beine übereinander. »Man hat Sie mir doch erst für morgen Vormittag avisiert.«
»Mich?« Linkohr stutzte. »Ich verstehe nicht …«
»Ihr Kollege hat mich angerufen und gesagt, er schicke morgen um elf jemanden vorbei.« Karin Stenzel sah ihn misstrauisch an.
»Ein Kollege?«
Sie sprang wieder auf, stöckelte die paar Schritte zu ihrem Schreibtisch und blätterte in einem Terminkalender. »Angerufen hat ein Herr Wissmut oder so ähnlich. Jedenfalls habe ich mir das so aufgeschrieben.«
Linkohr verbarg seine Verwunderung. Beinahe hätte er gesagt: »Ach, der Kollege von der Sitte.« Im letzten Moment fiel ihm jedoch ein, dass Vanessa gestern eine entsprechende Bemerkung gemacht hatte, wonach Wissmut gegen den Pfarrer von Rimmelbach ermittle. Demnach ging’s jetzt offenbar zur Sache.
»Ach, der Kollege Wissmut«, zeigte sich Linkohr entspannt, während die Rektorin wieder bei ihm Platz nahm. Sie ist wirklich hübsch, dachte er. Groß, schlank, selbstbewusst. Vielleicht ein bisschen zu autoritär, wie er sie einschätzte. Er musste für den Bruchteil einer Sekunde an seine Verflossene aus dem Remstal denken.
»Wissmut ermittelt in anderer Sache«, sagte er, womit er aber die Rektorin eher noch misstrauischer machte.
»In anderer Sache? Ist das nicht schlimm genug, was mir der Herr Wissmut am Telefon gesagt hat?« Linkohr bemerkte, dass sie offenbar besser informiert war als er selbst. Er ärgerte sich, Vanessas Hinweis gestern nicht ernster genommen zu haben.
»Sie haben vielleicht von der Selbsttötung gestern Nachmittag gehört«, begann er vorsichtig. »Auf dem Hochsitz.«
»Gehört ja, natürlich. Ganz Rimmelbach spricht davon«, räumte sie zögernd ein. Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. »Das hat aber doch nichts mit der Schule zu
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