Machtlos
kam langsam wieder zu sich. Sein Arm fühlte sich wie ein Fremdkörper an, der an ihm hing, ohne wirklich zu ihm zu gehören. Er wusste, was das bedeutete. Die Kugel steckte noch immer in seiner Schulter, und er brauchte dringend einen Arzt, oder er riskierte, seinen Arm zu verlieren. Sein Kopf schmerzte. Als er die Augen öffnete, sah er als Erstes die Füße des alten Mannes und eine Lache unter dem Stuhl, auf dem er noch immer saß. Es roch nach Urin und Fäkalien.
Burroughs rollte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Er fühlte sich plötzlich leer und müde und verspürte den dringenden Wunsch, sich sinnlos zu betrinken. Er hatte nie damit gerechnet, dass Mayer hier auftauchen würde. Was trieb den Mann? Es musste mehr sein als nur der Dienst an seinem Land. Und dann diese verdammte Weymann-Schlampe. Sie war schuld, dass Mayer ihn getroffen hatte. Wenn er ihretwegen seinen Arm verlor …
Mühsam stemmte er sich hoch. Er musste ins Lager zurück. Marcia musste ihn zusammenflicken. Und wie immer, wenn er getötet hatte, verspürte er Lust auf Sex. Kathy hatte nie gewusst, dass ihre heißesten Begegnungen nach seinen schwersten Einsätzen stattgefunden hatten. Er hatte mit ihr nicht über diese Dinge reden können. Marcia würde es verstehen. Es machte sie ebenso an wie ihn. Er bedauerte es, dass sich ihre Wege so schnell wieder trennen würden.
Er musste zurück nach Hamburg. Wenn auch nur kurz. Er musste sicherstellen, dass alles nach Plan verlief, bevor er sich ganz absetzte.
Umso ärgerlicher war es, dass er Mayer und Weymann hier nicht erwischt hatte. Es machte seine Aufgabe zwar nicht unmöglich, aber es verkomplizierte sie unnötig, und dass Weymann lebte, war mehr als nur ein Verstoß gegen seine Prinzipien. Es bedeutete Ärger. Es würde sich eine Lösung finden.
Jetzt musste er erst einmal raus aus diesem Haus, bevor jemand kam und Fragen stellte. Schlagartig wurde er müde. So müde wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Er würde noch einen Moment liegen bleiben. Nur einen kurzen Moment. Dann würde er sich auf den Weg machen.
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Teil III
Artikel 12
der Charta der Menschenrechte
der Vereinten Nationen
Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.
M arc legte den Telefonhörer auf und starrte gegen die weiße Bürowand. »Ihre Frau ist in Sicherheit.« Florian Wetzels Stimme klang ihm noch in den Ohren, und die Worte hallten in ihm nach, fühlten sich unwirklich an. Ihre Frau ist in Sicherheit.
Die Erleichterung war zu groß, um sie sofort zu spüren.
»In Sicherheit …Was heißt das? Wo ist sie?« Die Fragen waren aus ihm herausgesprudelt, hatten sich überschlagen.
»Ich kann Ihnen momentan nicht mehr sagen«, hatte Wetzel nur geantwortet. »Aber es geht ihr gut.«
Marc ließ sich auf einen Stuhl fallen und schloss für einen Moment die Augen. All ihre Anstrengungen, all ihr Hoffen war nicht vergebens gewesen. Er sehnte sich plötzlich entsetzlich danach, Valeries Stimme zu hören, ihre Nähe zu spüren. Er warf einen Blick auf den Kalender neben dem Telefon. Es war der 30. Dezember. »Wird Mama Silvester wieder bei uns sein?«, hatten die Mädchen noch vor zwei Tagen gefragt.
* * *
Mayer beobachtete durch das Fenster, wie das Flugzeug zum Landeanflug ansetzte, wie es eintauchte in das Lichtermeer unter ihnen. Valerie hatte die Augen geschlossen. Sie schwieg nach wie vor über ihre Erlebnisse in dem amerikanischen Lager. Nur über ihre Freilassung hatte sie auf seine Frage hin stockend und wortkarg erzählt. Aber die Angst in ihrem Blick, wenn sie aus kurzem Schlaf hochschreckte, sprach eine deutliche Sprache. Ebenso die Art, wie sie zurückzuckte, wenn er sie versehentlich berührte, oder wie sie den Atem anhielt, wenn sein Ton ungeduldig zu werden drohte. Er wusste um die Praktiken in den Foltergefängnissen, wusste, was sie mit Frauen machten, um sie zu brechen. Sie hatte keine offensichtlichen Verletzungen, keine Wundmale, soweit er das bislang beurteilen konnte, aber er ahnte, wo ihre Schmerzen herrührten. Sie würde darüber reden müssen. Irgendwann. Er fragte sich, wo er dann sein würde.
Das Flugzeug kam mit einem Ruck auf der Landebahn auf. Valerie schlug die Augen auf und sah ihn an.
»Wir sind da«, sagte er.
Sie nickte nur.
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