Machtlos
Waffe umschlossen und zielte auf den Mann am Boden.
»Valerie, tun Sie das nicht.« Mayer streckte ihr seine Hand entgegen. »Bitte, geben Sie mir die Waffe.«
»Er wird erst aufhören, wenn wir tot sind«, sagte sie. »Er war es, der mich hierhergebracht hat.« Der zugesehen hatte, sich daran erregt hatte.
»Überschreiten Sie diese Schwelle nicht.« Mayers Stimme klang beschwörend.
Ihre Hände begannen zu zittern.
Mayer machte einen Schritt auf sie zu.
»Kommen Sie nicht näher«, warnte sie ihn. Sie musste Burroughs töten. Es war die einzige Möglichkeit, in Zukunft ohne Angst zu leben.
»Valerie, bitte vertrauen Sie mir.«
»Ich habe es mir so oft vorgestellt, wie es wäre, ihn zu töten«, flüsterte sie. »Ich muss es tun.«
»Das stimmt nicht, Sie reden sich das nur ein. Mit jedem Menschen, den Sie töten, töten Sie auch ein Stück von sich selbst. Tun Sie es nicht.«
»Sie haben oben in den Bergen die Männer, ohne zu zögern, niedergeschossen.« Ihr Finger krümmte sich am Abzug.
»Ich hatte keine Wahl.«
Ihr Blick flog zu ihm.
»Ich habe auch keine Wahl«, sagte sie leise.
»Doch, Valerie, das haben Sie.«
Plötzlich war er bei ihr, ein Schuss löste sich aus der Waffe und traf die Wand. Holz splitterte. Dann hatte Mayer ihr den Revolver abgenommen. Sie schlug nach ihm, trat ihn, spürte, wie er vor Schmerz zusammenzuckte, als sie die Stelle traf, wo die Kugel ihn getroffen hatte, und doch hielt er sie fest, bis sie schließlich kraftlos gegen ihn sank und weinte; all ihre Wut war mit einem Mal verpufft. »Es tut mir leid.«
»Schon gut«, flüsterte er und strich ihr behutsam das Haar aus dem Gesicht. »Schon gut.«
Ihr Atem wurde ruhiger, und sie wischte sich die Tränen aus den Augen. Dann fiel ihr Blick auf Burroughs. »Was machen wir mit ihm?«, fragte sie.
»Nichts. Wir lassen ihn hier liegen. Sollen sich die örtlichen Behörden mit der Situation auseinandersetzen. Woher wussten Sie, dass er hier ist?«
»Ich habe sein Rasierwasser gerochen.«
Er warf ihr einen anerkennenden Blick zu, dann sah er auf seine Uhr. »Auf uns wartet ein Flugzeug. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«
Bevor sie das Haus verließen, trat Mayer zu dem Toten am Tisch, schloss ihm die Augen und verharrte schweigend vor ihm. Der Anblick berührte Valerie, und sie fragte sich, wie gut sich die beiden Männer gekannt hatten.
Sie fuhren in die hereinbrechende Dämmerung. Der Schnee schimmerte blau in dem sich allmählich verlierenden Licht, und mit jedem Kilometer, den sie zurücklegten, atmete Valerie ein wenig freier, ließ der klamme Griff der Angst ein wenig nach.
»Morgen früh sind Sie wieder in Hamburg«, sagte Mayer, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er reichte ihr ein Mobiltelefon. »Wenn Sie möchten, können Sie Ihren Mann anrufen.«
Marc. Er schien ihr Welten entfernt zu sein. Valerie blickte auf das Telefon in ihrer Hand. Dann sah sie zu Mayer und reichte es ihm zurück. »Ich kann jetzt nicht mit ihm sprechen.«
Mayer gab eine Kurzwahlnummer ein. Es dauerte eine Weile, bis die Verbindung zustande kam. »Florian? – Ich bin es, ja. Bitte rufen Sie Marc Weymann an und teilen Sie ihm mit, dass seine Frau in Sicherheit ist. – Nein, mehr erst einmal nicht. – Wir sind unterwegs und erreichen in etwa drei Stunden den Flughafen. – Ich melde mich.«
»Danke«, sagte Valerie, nachdem die Verbindung beendet war, und sah, wie er flüchtig lächelte. »Wie kommt es, dass Sie hier in dieser gottverlassenen Gegend ein Netz haben?«, fragte sie erstaunt.
»Es ist ein Satellitentelefon.«
Sie gab sich einen Ruck. »Sie waren nicht immer beim BND , oder?«
Er antwortete nicht sofort. »Ich war vorher beim KSK «, erwiderte er zögerlich, unwillig beinahe.
»Tut mir leid, ich wollte nicht neugierig sein«, sagte sie schnell und spürte doch gleichzeitig, dass ihr nach dieser Antwort ein Dutzend weiterer Fragen auf der Seele brannten. Das KSK , das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, eine umstrittene, aber zweifelsohne eine Einheit, die ihresgleichen suchte.
Er räusperte sich. »Es gibt auch etwas, das ich gern von Ihnen wüsste.«
»Fragen Sie.«
»Wie konnten Sie aus dem amerikanischen Lager entkommen?«
Valerie sah aus dem Beifahrerfenster. Mayer würde nicht der Einzige sein, der ihr diese Frage stellen würde. Aber sie wusste plötzlich, dass er der Einzige war, dem sie die Wahrheit erzählen konnte. Der schweigen würde, wenn sie ihn darum bat.
* * *
Burroughs
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