Machtlos
enttäuscht.
Mayer lachte plötzlich auf. Es war das erste Mal, dass sie ihn lachen hörte. Nicht einmal ein Lächeln kannte sie bisher von ihm. Es nahm seinem kantigen Gesicht die Härte und brachte ein Funkeln in seine dunklen Augen. »Schön, dass Sie Ihren Kampfgeist nicht verloren haben«, bemerkte er trocken.
Sie spürte, wie sich auch in ihr ein Lächeln ausbreitete. Es war ein ehrliches Lächeln ohne Zweifel und für diesen kurzen kostbaren Moment ohne Angst, und es fühlte sich schon allein deswegen gut an, weil sie in den vergangenen Wochen befürchtet hatte, genau diese Leichtigkeit nie mehr empfinden zu können. Und nun war sie da. Völlig unerwartet, nachdem sie beide knapp dem Tod entkommen waren. »Ich freue mich auch, Sie zu sehen«, erwiderte sie.
Er stand auf und reichte ihr seine Hand, um sie vom Boden hochzuziehen.
»Sie sind meinetwegen hier«, stellte sie fest. »Sie sind gekommen, um mich hier rauszuholen.« Sie spürte den festen Druck seiner Finger um ihre Hand. Er hatte sein Leben riskiert für sie. »Warum haben Sie das gemacht?«
»Das ist mein Job«, sagte er lediglich. Er ließ ihre Hand los und trat einen Schritt zurück. Seine Gesichtsmuskeln spannten sich an. Sie hatte diese Anspannung schon einmal bei ihm gesehen. In der Nacht nach dem Anschlag auf den Dammtorbahnhof.
Er nahm sein Gewehr vom Boden auf. »Wir müssen so schnell wie möglich fort. Einer von Lucas Männern ist entkommen, und wir wissen nicht, was Burroughs als Nächstes plant.«
Valerie hielt ihn zurück. »Was ist mit Noor?«
Sein Blick ließ Vermutung Gewissheit werden.
»Sie ist tot«, flüsterte Valerie.
»Ihr Körper wurde in den Bergen in der Nähe des Lagers gefunden«, bestätigte Mayer betont sachlich. »Wir haben den Leichnam bereits überführt und identifiziert. Es tut mir leid.«
Eine Flut von Bildern überwältigte sie. Ihr war, als höre sie Noors leises Lachen, als spüre sie den fragenden Blick ihrer Freundin, atmete den Duft ihres Parfüms.
»Valerie …«, Mayer berührte ihren Arm. »Wir müssen gehen.« Der Unterton in seiner Stimme verdrängte die Erinnerung. Sie schwebten noch immer in Gefahr und hatten keine Zeit zu verlieren.
»Wie gut sind Sie zu Fuß?«, wollte er wissen.
»Ich werde es schon schaffen.«
Er verlor kein Wort über ihre Aufmachung. Die Armeehose und Stiefel, die Daunenjacke, alles unverkennbar amerikanischer Machart. Er fragte nichts, schob sie nur zur Tür. »Kommen Sie.«
»Was ist mit Luca?«
»Wir haben keine Zeit, uns um ihn zu kümmern. Sobald wir im Tal sind, schicken wir jemanden her.«
Vor dem Haus lagen die beiden Männer, die Mayer erschossen hatte. Er blieb kurz bei ihnen stehen und hielt ihnen die Finger an die Halsschlagader. Der eine war tot, selbst Valerie konnte es erkennen an dem unglücklichen Winkel seines Kopfes. Der zweite lebte noch. Mayer nahm ihn hoch und schleppte ihn in die Hütte. Dann eilte er auf den Waldrand zu und zog einen Rucksack aus dem Gebüsch. Winkte Valerie, ihm zu folgen. Er bewegte sich schnell, sicher, ohne zu zögern.
Valerie stolperte hinter ihm her zwischen den Bäumen hindurch den Berg hinunter. Immer wieder blieb er stehen, um auf sie zu warten. An manchen Stellen nahm er ihre Hand, um ihr zu helfen, und einmal hob er sie sogar über eine Felsspalte, als wäre sie ein Kind.
Sie hatten über die Hälfte des Weges zurückgelegt, als die Schmerzen zurückkamen. Mayer blieb stehen, als er merkte, dass sie langsamer wurde. »Sie sind ganz blass. Sie haben Schmerzen.«
»Geht schon«, murmelte sie. Sie wollte nur fort. Weg aus diesen Bergen, dem Schnee, diesem Land und seinen Geheimnissen. Sie wollte alles zurücklassen, was hier passiert war. Vergessen. So schnell wie möglich.
»Was ist es?«, wollte er wissen. »Sie haben Medikamente bekommen.«
Sie starrte ihn an. Wie konnten drei schlichte Worte eine solche Flut von Emotionen auslösen? Tränen sprangen ihr plötzlich in die Augen, liefen ihr über die Wangen. Ungelenk wischte sie sie fort, versuchte, sich zu beherrschen, aber das machte es nur umso schlimmer. Zitternd stand sie da und schämte sich ihrer Hilfslosigkeit, ihrer Erinnerungen, ihrer Angst, die nie fortgewesen war, sich nur verborgen hatte, ein Begleiter, der sie vielleicht nie mehr verlassen würde.
Es lag kein Entsetzen in Mayers Augen, nur eine Traurigkeit, die sie nicht erwartet hatte. Er machte einen Schritt auf sie zu, streckte ihr seine Hand entgegen. »Kommen Sie.« Behutsam legte er
Weitere Kostenlose Bücher