Machtlos
Anspannung lag in ihrem Gesicht.
Es war frühmorgens, der Flughafen hatte gerade erst geöffnet, und nur wenige Reisende waren unterwegs, dennoch mied Mayer die öffentlichen Wege und den Gang durch die Terminals. Ihre Silhouetten spiegelten sich in den Fensterscheiben und zeigten ihm zwei Menschen, die aussahen wie einer paramilitärischen Brigade angehörig, frisch vom Einsatz in die Zivilisation zurückgeworfen. Es war besser, wenn niemand sie so sah.
Wetzel wartete mit dem Wagen auf sie. Valerie betrachtete ihn misstrauisch, und er schwieg ganz entgegen seiner Gewohnheit, nickte ihr nur kurz zu, bevor er ihr die Tür öffnete. Doch gleich darauf boxte er Mayer unauffällig in die Seite und raunte ihm mit einem Augenzwinkern ein »Großartig, Chef« zu.
»Haben Sie das mit dem Hotel geregelt?«, wollte Mayer wissen, als er sein Gepäck in den Kofferraum legte.
»Alles klar«, bestätigte Wetzel.
Mayer setzte sich zu Valerie auf die Rückbank des Geländewagens. Es war dasselbe Fahrzeug, mit dem er sie vor drei Wochen zusammen mit Burroughs vom Flughafen zum Präsidium gebracht hatte. Es schien ihm eine Ewigkeit her zu sein.
Die Stadt zog an ihnen vorbei. Die Straßen waren zu dieser frühen Zeit noch leer. Valerie starrte schweigend in die Dunkelheit, und er bemerkte, wie sie nervös ihre Hände in ihrem Schoß knetete. »Wie fühlen Sie sich?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie und sah zu ihm. »Ich bin … unsicher, aufgeregt, hungrig, schmutzig … und müde. Alles gleichzeitig.« Sie lächelte zaghaft.
»Sind Sie sich nach wie vor sicher, dass wir Ihre Familie nicht informieren sollen?«
Sie nickte. »Ich muss erst einmal ankommen. Geben Sie mir ein oder zwei Tage.«
Sie fuhren in die Tiefgarage des Interconti. Von dort brachte Mayer Valerie direkt nach oben in die Suite, in die Wetzel schon ihre Sachen gebracht hatte.
»Den Job des Kindermädchens würde ich auch gern übernehmen«, hatte dieser bemerkt, als Mayer ihn davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass Valerie Weymann für ein bis zwei Tage mit ins Hotel zog und er zwei Zimmer mit einer Verbindungstür brauchte.
»Sagen Sie mir, wenn ich zu viel verlange«, hatte sie ihn im Flugzeug gebeten, »aber ich weiß nicht einmal, ob ich in der Lage bin, mit dem Zimmerservice zu sprechen. Es wäre schön, Sie in der Nähe zu wissen.« Das Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte, berührte ihn.
Die Zimmer waren geräumig und mit Blick auf die Alster. Ein Lächeln huschte über Valeries Gesicht, als sie die Blumen auf dem Couchtisch unter der Fensterfront sah, und Mayer dankte Wetzel im Stillen für seine Umsicht.
»Ich lasse Sie jetzt allein«, sagte er. »Wenn etwas ist, ich bin nebenan. Die Zwischentür ist auf, Sie können jederzeit rüberkommen. Es ist unwahrscheinlich, dass ich heute fort muss, aber falls doch, gebe ich Ihnen Bescheid, dann erreichen Sie mich über mein Handy.« Er reichte ihr einen Zettel. »Das ist die Nummer. Ihr Handy finden Sie bei Ihren Sachen.« Er sah sie noch einmal prüfend an. »Geht es Ihnen so weit gut? Brauchen Sie noch etwas gegen die Schmerzen?«
»Ich bin versorgt, danke«, sagte sie und zog die Packung mit den Medikamenten aus der Tasche, die Wetzel ihr bereits im Auto in die Hand gedrückt hatte. »Ich werde gleich etwas davon nehmen.« Sie legte die Tabletten auf dem Tisch ab. Dann räusperte sie sich. »Wir haben heute Silvester, nicht wahr?«
Er nickte.
»Bitte lassen Sie sich von mir nicht abhalten, wenn Sie …«
Er erwiderte lachend: »Valerie, können Sie sich vorstellen, dass ich nach den vergangenen Tagen Lust auf eine wilde Party habe? Ich sehne mich nur noch nach einer Dusche und einem Bett.«
Doch das alles musste warten. Wetzel erwartete ihn schon in seinem Zimmer. »Was haben Sie über Burroughs herausgefunden?«, fragte Mayer, ließ sich auf einen der Sessel fallen und streckte müde die Beine aus. Seine Rippen schmerzten, dort, wo ihn die Kugel des Amerikaners getroffen hatte.
»Wussten Sie, dass er seine Familie bei 9/11 verloren hat?«
Mayer nickte.
»Er hat sich in den folgenden Jahren als Terrorspezialist etabliert, und er war bislang hervorragend in seinem Job. Hat sich weltweit einen Namen gemacht.«
Das war alles nichts Neues, aber Wetzels Stimme klang, als hätte er seinen Trumpf noch im Ärmel. »Raus damit, Florian. Ich bin müde.«
Wetzel grinste. »Er ist sauber, oder zumindest weiß er, wie er diesen Anschein wahren kann. Aber seine Geschäftspartner
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