Machtlos
Kollegen in Misskredit zu bringen. Selbst in der Agency hat sie schon ihr Gift versprüht.« Er lachte kurz auf, es klang, als wäre er peinlich berührt. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie will sich für eine schnelle Nummer rächen, von der sie sich mehr erhofft hat.«
»Vielleicht sollten Sie einfach das Gespräch mit ihr suchen«, schlug Mayer vor, ohne auf Burroughs’ Bemerkung einzugehen.
Burroughs seufzte. »Keine Chance. Sie spricht nicht mit mir über Dinge, die jenseits des Dienstlichen liegen. Nur über mich. Eine Frau eben …«
Mayer schwieg. Burroughs hegte und pflegte seine Vorurteile, das war allgemein bekannt.
Sie hatten das Interconti erreicht. Mayer warf einen Blick auf seine Uhr. »Ich habe gleich eine Besprechung im Polizeipräsidium. Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?«
»Nein, vielen Dank«, erwiderte Burroughs und winkte durch die große Glasfassade hindurch einem dunkelhaarigen Mann in der Lobby zu, der sich bei ihrer Ankunft aus einem der Sessel erhoben hatte. »Ich habe hier noch eine Verabredung.« Er berührte flüchtig Mayers Schulter, bevor er sich abwandte. »Wir sehen uns später.«
Mayer sah dem Amerikaner nach, der mit langen Schritten die wenigen Stufen zum Eingang des Hotels hinaufstieg.
Er ist ein Unruhestifter.
Aus welchem Grund sollte Archer Burroughs diffamieren?
Mayer kam nicht mehr dazu, darüber nachzudenken. In dem Moment, in dem er hinunter zur Tiefgarage gehen wollte, um seinen Wagen zu holen, klingelte sein Handy. Die Nachricht, die er erhielt, ließ ihn alles andere vergessen. Er sah Burroughs aus dem Hotel stürzen, auf sich zu, das Telefon noch am Ohr, bleich vor Entsetzen.
* * *
Ihr Schweigen machte keinen Sinn. Es verschlimmerte alles nur. Aber würden sie ihr glauben, wenn sie ihren Widerstand jetzt aufgab? In Gedanken sah sie das Aufzeichnungsgerät vor sich. Die Kamera. Jedes Wort, jede Nuance in ihrer Stimme würden sie festhalten. Jede Geste und jede Regung ihres Gesichts. Und im Zweifelsfalle gegen sie verwenden. Wie konnte sie ihnen vertrauen?
Valerie kletterte auf den Stuhl, den sie unter das vergitterte Fenster ihrer Zelle geschoben hatte, und versuchte, einen Blick nach draußen zu werfen. Das Einzige, was sie sah, war grauer Himmel. Der Blick in ein Nichts. Es entsprach ihrem Empfinden. Sie schwebte irgendwo in diesem grauen Nichts, gefangen in einem Alptraum.
Sprich mit ihnen. Erzähl ihnen, was sie hören wollen. Dann lassen sie dich gehen. Dann kannst du wieder atmen. Frei sein. Valerie schloss die Augen und fühlte den kalten Stahl des Fenstergitters unter ihren Fingern. Was war, wenn sie sie nicht gehen ließen? Wenn sie immer nur weiter fragten, mehr und mehr Informationen einforderten, die sie ihnen nicht geben konnte?
Auf dem kleinen Tisch an der Wand gegenüber lagen die Fotos und die Berichte von Kopenhagen, die Mayer ihr kommentarlos hatte bringen lassen. Der Bombenanschlag in Dänemarks Hauptstadt vor drei Wochen hatte tagelang alle Medien beherrscht. Sie hatte im Fernsehen die Bilder der weinenden und unter Schock stehenden Angehörigen gesehen, der Verletzten, die abtransportiert wurden, und des zerstörten Areals in dem Vergnügungspark. In ihrer Tageszeitung hatte sie die Artikel gelesen, die Berichte der Augenzeugen. Mayer hatte ihr mehr gebracht als nur das. Fotos der verstümmelten Kinderleichen, die in einer Turnhalle aufgebahrt wurden. Er hatte ihr Obduktionsberichte und Aussagen von Zeugen dazugelegt und gewusst, dass sie sich das Material über kurz oder lang ansehen würde. Sie war nicht vorbereitet gewesen auf das neuerliche Entsetzen, das der Anblick der Dokumente in ihr auslöste. Dabei ging es nicht allein um die Tat, sondern das Ziel, das die Attentäter anvisiert hatten. Kaltblütig und berechnend hatten sie unschuldige Kinder getötet und damit das Herz der Gesellschaft getroffen. Und sie saß in dieser Zelle, weil man sie mit diesen Anschlägen in Verbindung brachte. Mit den Tätern. Langsam stieg Valerie von dem Stuhl herunter und schob ihn zurück an den Tisch.
Es war eine so ungeheuerliche Anschuldigung, dass ihr der bloße Gedanke daran schon Übelkeit bereitete. Valerie wusste, was sie auch zu ihrer Verteidigung vorbringen würde, die Fakten sprachen gegen sie und gegen Noor. Wenn sie nur mit ihrer Freundin sprechen könnte. Warum war Noor in Kopenhagen gewesen? Warum hatte sie Mahir getroffen? Und warum hatte sie nichts von alldem erzählt?
* * *
Als Burroughs den
Weitere Kostenlose Bücher