Machtlos
sich auf der Tischplatte. »Es kann durchaus sein, dass die ›Entführung‹ ihrer Frau mit dem Wissen und der Billigung der deutschen Behörden geschehen ist.«
»Wie bitte?« Marc starrte sie ungläubig an.
»Im Bereich der Terrorismusbekämpfung gibt es bedenkliche Auswüchse, die unsere Rechtsstaatlichkeit untergraben. Auch in Deutschland werden dadurch die Menschenrechte immer häufiger in Frage gestellt«, erklärte sie ihm. »Der Leiter der betreffenden Abteilung der Bundesanwaltschaft hat jüngst öffentlich zugegeben, dass durch ausländische Nachrichtendienste zur Verfügung gestellte Informationen in diesem Rahmen inzwischen den Regelfall bilden und für die deutsche Justiz zunehmend an Bedeutung gewinnen.«
Er fragte sich, ob sie Anwältin war. Wenn Valerie sprach, klang es manchmal genauso. »Könnten Sie mir das genauer erläutern?«
»Natürlich«, erwiderte sie ernst. »In Deutschland haben wir ein sogenanntes Beweisverwertungsverbot. Es besagt, dass Foltergeständnisse nicht in deutsche Gerichtssäle eingebracht werden dürfen, und erklärt sich aus unserer Historie. Diese Geständnisse dürfen aber, und diese Einstellung wird sogar vom Bundesjustizministerium unterstützt, von den Ermittlungsbehörden verwendet werden, zum Beispiel zur Gefahrenabwehr – im konkreten Fall Ihrer Frau zur Verhinderung eines Anschlags.«
Marc lehnte sich vor. »Wollen Sie mir damit sagen, dass meine Frau in ein Drittland gebracht worden ist, um ihr Aussagen abzupressen, die sie hier freiwillig nicht machen würde?« Er brachte es nicht über die Lippen, im Zusammenhang mit Valerie von Folter zu sprechen, und merkte gleichzeitig, wie absurd seine vorsichtige Wortwahl war. Es änderte nichts an der Tatsache. Dass Valerie in der Hand des amerikanischen Geheimdienstes sein sollte, war an sich schon ein Alptraum, dass dieser Transfer von den Behörden seines eigenen Landes sanktioniert worden war, erschien ihm unfassbar.
Franka von Sandt erwiderte seinen Blick schweigend.
»Aber wohin haben sie Valerie gebracht? Die Geheimgefängnisse der CIA sind geschlossen …«
»Es gibt genügend Staaten, für die die Menschenrechte keine Bedeutung haben und die gegen die ein oder andere Leistung oder Gefälligkeit Gefangene aufnehmen. Die Geheimdienste besitzen ihre eigenen dunklen Kanäle und Absprachen.«
Franka von Sandts ausdrucksvolles, von vielen kleinen Fältchen durchzogenes Gesicht zeigte keine Emotionen, als sie sprach. Vermutlich war diese Sachlichkeit nötig, um mit solchen Inhalten auf Dauer umgehen zu können.
»Ist es möglich, Genaueres herauszufinden?«, fragte er.
»Es wird nicht einfach, fürchte ich. Aber wir werden alles versuchen.« Sie blickte auf ihre Notizen. »Ich werde das, was Sie mir erzählt haben, sofort an die zuständigen Mitarbeiter weiterleiten.«
»Kann ich etwas tun?«
»Sobald wir wissen, wo sich Ihre Frau befindet, werden wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen. Solange müssen Sie Geduld haben. Wir brauchen Beweise, um öffentlichen oder politischen Druck ausüben zu können. Dann wird auch Ihr Engagement eine große Rolle spielen.«
Marc atmete tief durch. »Danke«, sagte er und reichte Franka von Sandt die Hand. »Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet.«
»Noch haben wir nichts getan.«
»Doch«, widersprach er. »Sie haben mir zugehört und mich ernst genommen.«
Sie begleitete ihn zur Tür. »Noor al-Almawi ist übrigens keine Unbekannte für uns«, sagte sie. »Wussten Sie, dass im Iran gegen sie die Todesstrafe verhängt worden ist?«
Marc stockte, die Hand schon auf der Türklinke. »Gegen Noor? Ich wusste nur, dass es einige Länder in der Region gibt, die ihr inzwischen die Einreise verweigern, weil sie als Frauenrechtlerin angeblich den Islam verunglimpft, und dass sie deswegen auch schon inhaftiert wurde.«
»Wir werden uns auch der Frage annehmen müssen, inwieweit die Verstrickungen von Noor al-Almawi in diese aktuelle Affäre lanciert sein könnten.«
Genau diese Frage hatte Marc vor nicht allzu langer Zeit schon einmal gehört. Noors Mutter hatte einen entsprechenden Verdacht geäußert.
»Haben Sie …«, begann er, aber Franka von Sandt fiel ihm ins Wort. »Ich darf leider nicht mit Ihnen darüber sprechen.« Sie drückte kurz seinen Arm. »Sie hören von uns in den nächsten Tagen.«
Marc schöpfte neue Hoffnung, als er nach Hause fuhr. Gleichzeitig war ihm aber auch bewusst, dass jeder Tag, der verging, Valeries Tod bedeuten konnte. Als die Mädchen
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