Machtlos
Sorge. „Drachen können das ab, da bin ich mir ziemlich sicher. Bei Menschen weiß ich es nicht so genau.“
„Also hat sie es schon bei einem von uns gemacht“ , dachte Mandolan unwillig und warf ihr einen argwöhnischen Blick zu.
Victoria ignorierte Mandolans Bedenken und erzählte von dem Angriff dreier Männer nach einem Kinobesuch mit Kerstin. Damals hatte sie aus Verzweiflung einem der Typen die Vorstellung in den Kopf gepflanzt, wie sie ihm ihr Knie in seine Weichteile rammte. Tatsächlich hatte der Kerl sie daraufhin losgelassen und sich vor Schmerz zusammengekrümmt, ganz so, als hätte sie ihn tatsächlich getreten. „Was danach mit dem Mann passiert ist, weiß ich aber nicht. Keine Ahnung, ob er irgendwelche Schäden davon getragen hat“, bemerkte sie achselzuckend.
Narex, Mandolan und Hoggi diskutierten ein paar Sekunden auf der Geistesebene. Die Bilder und Gedanken huschten extrem schnell zwischen ihnen hin und her. Für Victoria waren viele Ansätze und Argumente der Drachen fremd, so dass sie nur wenig verstand.
Dann fasste Hoggi zusammen: „Wir müssen es versuchen. Selbst wenn diese Form der Magie negative Folgen hat, so werden die Konsequenzen noch schlimmer sein, wenn wir nichts tun. Wir halten es für sinnvoll, dass du Lenirs Gefühle überträgst, solange Kerstin noch schläfrig ist, denn dann ist sie noch einigermaßen entspannt und könnte den Eindruck haben, einen Traum zu erleben. Bei vollem Bewusstsein wird sie sicher vermuten, dass sie manipuliert wurde. Das würde ihr Misstrauen nur verstärken.“
Victoria nickte. Der Grat zwischen Täuschung und der Übertragung der Wahrheit war schmal. Und sie wollte Kerstin ganz sicher nicht täuschen – davon hatte sie genug. „Also, machen wir es so“, sagte sie in die Runde. Entschlossen drehte sie sich um und rief: „Lenir!“
Doch der hörte sie gar nicht, sondern lief weiter fluchend den Flur hinunter.
„Lenni, wir werden Kerstin wecken“, versuchte sie es erneut.
Lenir drehte sich um und beäugte sie mit einer Mischung aus Misstrauen und Neugier. „Hast du einen Plan?“, fragte er hoffnungsvoll.
Sie nickte und öffnete ihren Geist, damit er sehen konnte, was sie soeben besprochen hatten. „Ich brauche aber von dir die Gefühle, die ich Kerstin übertragen soll.“
Lenir hatte Angst, dass das schief gehen konnte, doch die Möglichkeit, dass Kerstin ihm danach endlich zuhören würde, ließ ihn alle Bedenken über Bord werfen. Er öffnete ebenfalls seinen Geist und ein verworrenes Gemisch aus Sorge, Angst, Wut, Hoffnung und unfassbarer Liebe schwappte zu Victoria herüber.
„Halt, Lenir!“, unterbrach Victoria ihn. „Das Positive, Lenni, konzentriere dich auf das Positive, das du für Kerstin empfindest. Du willst sie doch nicht verschrecken.“
Er sah sie einen Augenblick mit unbewegter Miene an. Dann nickte er und versuchte sich zusammenzureißen.
Allmählich, ganz allmählich gelang es Lenir, die Angst und die Wut aus seinen Gedanken zu verdrängen.
„Genau so“, bestärkte Victoria ihn. „Denk daran, was du für sie empfindest und dass du mit ihr zusammen sein willst.“
Er nickte und konzentrierte sich weiter. Schließlich wurde sein Gesichtsausdruck weich und träumerisch.
„Halt“, stoppte Victoria ihn erneut, „keine Bilder von Drachen! Das wirst du ihr schön alles selbst erzählen.“
Lenir schien wie aus einem Traum zu erwachen, blickte sich verwirrt um und sofort zeichnete sein Gesicht wieder Sorge und Angst.
Victoria seufzte und zog ihre eigenen Schutzbarrieren hoch. Sie durfte sich nicht ablenken lassen, denn sie konnte sich hierbei keine Fehler erlauben.
Jaromir nickte und zog seinen Freund den Gang hinunter. Ein paar Meter räumlicher Abstand würden seiner Gefährtin sicher gut tun und so konnte Lenni auch nicht dazwischenfunken.
„Danke, Jaro! Und sorgst du bitte dafür, dass seine Hände halbwegs manierlich aussehen? Könnte nicht schaden, für den Fall, dass es klappt…“
„Sicher – und viel Glück, Kleines“ , hörte sie seine warme Geistesstimme und lächelte dankbar.
Dann straffte sie sich innerlich und ging zu Kerstins Tür. Sie bereitete sich auf den Zauber vor. Schließlich drückte sie die Türklinke entschlossen herunter und betrat den Raum. Sie wusste, dass die anderen von draußen alles genau verfolgen würden.
Victoria setzte sich an Kerstins Bett und spürte, dass Narex den Schlafzauber langsam drosselte. Nach ein paar Minuten wurde ihre Freundin unruhiger und
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