Machtlos
Große Rat würde in einer halben Stunde tagen, Kerstin ging es zunehmend schlechter und Lenir war an der Grenze zum Wahnsinn.
Sie mussten etwas unternehmen.
Victoria hatte eine Idee. Sie hatte schon gestern flüchtig darüber nachgedacht, aber sie hatte Angst, dass sie Kerstin damit schaden könnte und so hatte sie ihren Einfall gleich wieder verworfen. Wenn der Große Rat allerdings eine Veränderung von Kerstins Gedächtnis anordnen würde, wäre der Schaden bestimmt noch größer.
„Was willst du tun?“ , fragte Jaromir neugierig und besorgt zugleich. Sie spürte, dass er sich auf dem Weg zu ihr nach unten machte.
Sie zeigte es ihm über die Geistesverbindung. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich tun soll. Aber da du schon herkommst, können auch gleich alle kommen, denn das will ich nicht allein entscheiden. HOGGI, NAREX, MANDOLAN.“
Wenige Minuten später waren sie vollzählig. Narex hatte kurz zuvor mit Abrexar Kontakt gehabt. Der hatte gehofft, positive Nachrichten über Kerstin und Lenir zu hören. Er selbst hatte keine Lösung gefunden und ging wenige Minuten später in die Sondersitzung des Großen Rates der Goldenen. Er würde versuchen, die Thematik mit Kerstin und Lenir auszuklammern, war sich aber alles andere als sicher, dass das klappen würde. Gerüchte verbreiteten sich schnell unter Drachen – insbesondere unter goldenen.
Auch Narex, Mandolan und Hoggi wussten keinen Rat, aber alle stimmten den Gefährten zu, dass sie etwas unternehmen mussten. Sie beäugten besorgt die Vertäfelung und Lenirs Hände, während der wütende Selbstgespräche führte und den Gang entlang der misshandelten Wandverkleidung auf und ab tigerte. Seine Hände sahen wüst aus, doch er schien das gar nicht zu bemerken.
Victoria sagte leise: „Jedes Mal, wenn wir Kerstin wecken, geht es ihr schlechter. Sie wird immer argwöhnischer und blockt nur noch ab. Ich glaube, wenn Kerstin wirklich verstehen würde, was Lenir für sie empfindet, dann könnte sie ihr Misstrauen aufgeben und ihm zuhören.“
Alle nickten, schauten aber ratlos in die Runde. Wie sollte das erreicht werden, wenn die junge Frau nicht bereit war, zuzuhören?
Victoria wusste nicht so recht, wie sie das Folgende formulieren sollte, ohne Entsetzen bei den anderen hervor zurufen. Die sahen sie nun zunehmend neugierig an.
Schließlich sagte Jaromir: „Victoria kann anderen Wesen Gedanken oder Gefühle so in den Geist pflanzen, dass die den Eindruck haben, es wären ihre eigenen.“
Stille.
Narex und Mandolan schauten Victoria ungläubig an.
„Echt jetzt?“, fragte Narex skeptisch.
Sie nickte. Dann konzentrierte sie sich kurz und eine Sekunde später rissen er und Mandolan ihre Augen auf.
„Ich habe ganz sicher nie gegrillte Marshmallows gegessen!“, rief Narex verwundert. Nachdenklich fügte er hinzu: „Aber sie waren lecker…“
Mandolan war bestürzt, denn ihm war sofort klar, wie stark Victoria mit dieser Fähigkeit Drachen und Menschen manipulieren konnte. Diese Fähigkeit konnte sehr gefährlich werden und die Gefährten hatten gut daran getan, nicht darüber zu sprechen. Sein Misstrauen gegenüber Victoria vertiefte sich jedenfalls.
Victoria sah ihn ernst an: „Ich habe diese Begabung bis heute nur sehr selten benutzt, das versichere ich dir. Und wenn, dann habe ich es getan, um mich oder andere zu schützen. Und ich habe ganz sicher nicht vor, das an die große Glocke zu hängen!“
Mandolan nickte, doch sie sah, dass er nicht überzeugt war. Diese Fähigkeit war ihm in höchstem Maße suspekt.
Narex war noch immer fasziniert. „Mach das noch mal!“, forderte er begeistert.
Doch Jaromir schüttelte den Kopf. „Das solltest du lieber nicht tun, Vici. Deine Kräfte haben sich noch nicht vollständig gesetzt. Bei dem, was du vorhast, solltest du jetzt nichts verschwenden.“
Victoria stimmte ihm zu, schließlich war das hier keine Zirkusshow, sondern bitterer Ernst.
Hoggi hatte das Gespräch still, aber aufmerksam, verfolgt. Auch er hatte nichts von dieser Begabung seiner Schülerin geahnt. „Victoria ist wirklich eine außergewöhnliche Magierin. Wenn sie auf die falsche Seite gerät, kann sie wahrlich gefährlich werden“ , dachte er beeindruckt. „Doch jetzt geht es um andere Dinge“ , rief er sich selbst zur Ordnung und schlussfolgerte laut: „Du hast also vor, Kerstin Lenirs Gefühle in ihren Geist zu setzen. Hat das Nebenwirkungen? Ich meine, kann das zu Schäden führen?“
Genau das war Victorias
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