Machtlos
Black Jack über die Motive. Kerstin wollte einen dynamischen Drachen im Flug und Victoria einen, der mit gespreizten Flügeln durchs flache Wasser fegte. So hatte sie nämlich Jaromir zum ersten Mal ganz ausgelassen in seiner wahren Gestalt gesehen.
Am schwersten fiel es Victoria, den Tätowierern nicht einfach die Bilder zu senden, von denen sie sprach und so brauchten sie eine ganze Weile, bis die Männer endlich wussten, was sie wollten.
Inky überzeugte die Mädels, das Tattoo etwas größer zu machen. „Das Teil soll doch wirken!“, meinte er mit bedeutungsschwerer Miene. „Ihr wollt schließlich keinen niedlichen Spatz sondern einen richtigen Drachen. Der geht einfach nicht in klein, glaubt mir das.“
Kerstin war sofort einverstanden und auch Victoria stimmte schließlich zu. Ihr Drache war als erstes skizziert – gute fünfzehn Zentimeter groß auf ihrem linken Schulterblatt. Schließlich griff Inky zu seiner Maschine und sagte: „Na, denn woll‘n wir mal, junge Frau.“
Victoria biss die Zähne zusammen und hielt den Atem an.
Die Nadel hatte kaum die erste Kontur unter ihre Haut gestochen, da meldete sich Jaromir alarmiert: „WAS IST LOS? WARUM HAST DU SCHMERZEN?“
„Das wird die Überraschung, also sei gefälligst nicht so neugierig. Autsch! Und ja, es geht mir gut – naja, so gut es mir eben hierbei gehen kann. Aua!“ Sie zuckte erneut zusammen.
„Du musst schon ruhig liegen“, wies Inky sie an, „sonst dauert das ewig oder es geht ganz in die Hose.“
„Bei den Nebeln, was für eine Überraschung soll das werden?“ , wollte Jaromir aufgebracht wissen. „Du hast Schmerzen und es wird nicht gerade besser, das spüre ich genau.“
„Da muss ich jetzt wohl durch! Ist halb so wild“ , antwortete sie gepresst.
„Und wie lange soll das bitte schön gehen?“
„So um die vier Stunden.“
„WAS?? VIER Stunden noch?“
„So schlimm ist es nicht – echt nicht.“
„Was willst du mir damit beweisen? Ganz ehrlich, Victoria, ich bin kurz davor, zu dir zu springen – Überraschung hin oder her. Mich macht es WAHNSINNIG, wenn du leidest.“
„Wehe, du kommst her! Ich will das so. Du solltest lieber Lenir festhalten – bei Kerstin fangen sie auch jeden Moment an“ , warnte Victoria.
„Scheiße! Wir sind an der Uni! Was denkt ihr euch eigentlich?“
„Ja, was habe ich mir dabei gedacht?“ , fragte Victoria sich selbst. Sie war sich nicht mehr sicher, ob die Idee wirklich so gut war. Offensichtlich hatte sie keine Ahnung gehabt, was es bedeutete, tätowiert zu werden. Zerknirscht wandte sie sich wieder an Jaromir: „Das Ergebnis wird dir gefallen, versprochen, Jaro... Und ich kann dafür sorgen, dass ihr noch Zeit habt, nach Hause zu springen. Aber kommt nicht her!“
Jaromir schnaubte unwillig. „Also gut. Aber, wenn es noch schlimmer wird, dann überzeuge ich mich selbst davon, dass du tatsächlich nicht gefoltert wirst.“
„Nein, das tust du nicht! Das ist meine Sache und das stehen wir jetzt beide durch“ , entgegnete sie entschlossen und versuchte die Schmerzen vor Jaromir zu verbergen, was ihr jedoch nur kläglich gelang.
Dann wandte sie sich in Gedanken an Kerstin: „Geh noch mal auf die Toilette, bevor Black Jack bei dir anfängt.“
„Wieso? Ich muss gar nicht“ , meinte Kerstin verwundert.
„Du vielleicht nicht, aber Lenir sollte zurück im Haus Brookstedt sein, wenn der Typ bei dir anfängt – jedenfalls ist Jaromir ganz aufgebracht und kurz davor hier aufzukreuzen, um sicherzustellen, dass mir keiner was antut. Und WIR sind nicht mehr in der Bindungsphase…“ , fügte Victoria bedeutungsvoll hinzu.
Kerstin ließ sich Zeit, bis Jaromir und Lenir im Haus Brookstedt gelandet waren. Als sie wieder auftauchte, grinste Black Jack sie breit an und meinte: „Ach, komm schon, so schlimm wird es nicht. Ziept vielleicht ‘n büschen, mehr nicht.“
Kerstin erwiderte nichts und legte sich ganz entspannt auf die Pritsche.
Tatsächlich nahm sie das Tätowieren wesentlich gelassener hin als ihre Freundin. Entweder war sie nicht so schmerzempfindlich wie Victoria oder sie konnte die unangenehme Empfindung besser unterdrücken.
Trotzdem war es gut gewesen, dass die beiden Schwarzen nach Hause zurückgekehrt waren. Auch wenn Lenir gegenüber Jaromir ganz cool tat, so hatte er doch große Mühe, sich nicht zu verwandeln und nach Kerstin zu sehen. Victoria hatte Zweifel, dass es so gut gelaufen wäre, wenn Jaromir und sie statt der beiden anderen in der
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