Machtrausch
zu bringen und in einer Stunde Glock nach Hause zu faxen. Der zweite Anruf galt seiner Sekretärin, Frau Nockele. Er entschied sich für die brutale Tour:
»Glock hier, Frau Nockele. Bin heute zurückgekommen. Sie haben meine Frau und mich beinahe auf dem Gewissen …« Die rührige Bürokraft dachte zunächst, es handele sich um einen Scherz ihres Chefs, doch dann blieb ihr das Lachen im Halse stecken, als Glock nichts mehr erwiderte und nur schwieg, während er sein Diktiergerät aus der Tasche zog und eingeschaltet an den Hörer presste. Frau Nockele brach am Telefon völlig zusammen und fing übergangslos an, ihm schluchzend eine wirre Geschichte zu erzählen, die keinerlei Chronologie besaß. Für Glock jedoch viel Sinn ergab. Er musste keine einzige Frage stellen. Als außer Schluchzen nichts mehr aus dem Hörer kam, legte er einfach auf und schaltete das Diktiergerät ab.
Zu Hause stellte er alles zusammen, was er an Unterlagen, Aussagen, Beweisen und Vermutungen bislang besaß und steckte es in eine lederne Aktenmappe. Alles zusammen erzählte eine eindeutige Geschichte über dunkle Machenschaften, die Verlockungen von Macht und Geld und die Beeinflussbarkeit von Menschen. Beweiskraft besaß kaum etwas davon. Aber Anton hatte auch nicht vor, damit zur Polizei zu gehen.
16
Nagelschneider öffnete die Tür selbst. Das Tweedsakko mit den ledernen Ärmelschonern und die schwere Cordhose machten wieder einen irischen Landadeligen aus ihm. Aber in dem herbstlich blätterbunten Garten wieherte kein Pferd und blökte kein Schaf. Stattdessen pustete ein kleines Männchen unter beträchtlichem Lärm mit einer Maschine das Laub von den Gartenwegen. Glock kannte das Haus bereits von der Dinnerparty vor ein paar Jahren, die er sich mit seiner getürkten Empfehlung zum Erhalt der Fabrik in Münster erkauft hatte. Er folgte dem Finanzvorstand in das große Wohnzimmer. Ein fröhliches Kaminfeuer tauchte den ansonsten ziemlich dunklen Raum in ein flackerndes, gelbliches Licht. Sie setzten sich auf zwei schwere Ledersessel in der Nähe des Kamins. Nagelschneider, sonst der perfekte Gastgeber, vergaß, seinem ehemaligen Strategiechef etwas zum Trinken anzubieten. Er war völlig fixiert auf das, was ihm Glock zu berichten hatte.
»Ich werde nicht um den heißen Brei herumreden, Herr Nagelschneider. In dieser Mappe habe ich alle Informationen, die Sie brauchen, um als Sieger aus der Schlacht hervorzugehen .« Er klopfte zärtlich auf seine Aktenmappe.
»Allerdings habe ich eine recht klare Idee davon, was jetzt als nächstes zu passieren hat. Ich werde Ihnen die Unterlagen im Anschluss an unsere Unterhaltung nur dann aushändigen, wenn Sie diesen Ideen Ihre Zustimmung geben. Immerhin hat diese ganze Geschichte meine Frau und mich fast das Leben gekostet …«
»Wir werden sehen, Glock. Was haben Sie also he-rausgefunden? Ich bin ganz Ohr .« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und richtete seinen Blick auf das Kaminfeuer, während er konzentriert zuhörte.
»Vor etwa zwanzig Jahren beschloss eine kleine Gruppe sehr ehrgeiziger, junger Unternehmensberater, ihre weitere Karriere nicht dem Zufall zu überlassen. Sie gründeten einen Pakt, wie sie es nannten, mit dem Ziel, die Schuegraf AG systematisch zu unterwandern und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Der Plan war, dass jeder von ihnen, unabhängig voneinander, eine Laufbahn bei Schuegraf beginnen und sich dann mit allen Tricks und Kniffen rasch nach oben arbeiten würde. Man nistete sich gezielt in verschiedenen Ressorts ein, spielte sich gegenseitig Informationen zu und tat alles, um zunehmend Schlüsselpositionen zu besetzen. Können Sie sich vorstellen, was eine Gruppe entschlossener, skrupelloser Manager in Schlüsselpositionen gemeinsam erreichen kann? Wie sie, wenn sie erst einmal an den Geldtöpfen des Konzerns sitzen, diesen ausnehmen können wie eine Weihnachtsgans?«
»Wie ist es diesen Verbrechern gelungen, den Einstieg ins Unternehmen zu schaffen und gute Positionen bei Schuegraf zu ergattern ?«
»Anfangs waren es gar keine Verbrecher, sondern sie nutzten nur alle Möglichkeiten eines Konzerns und den Netzwerkgedanken konsequent aus. Absolut legal und höchstens moralisch zweifelhaft. Wie so vieles. Zu Ihrer Frage des Einstiegs bei Schuegraf: Zum einen waren alle Pakt-Mitglieder früher Berater bei St. Servatius. Schuegraf reißt sich, wie jedes große Unternehmen, geradezu um ehemalige St. Servatius-Berater. Die Leute sind intelligent, wissen,
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