Machtspiele: Die Kunst, sich durchzusetzen (Haufe Sachbuch Wirtschaft) (German Edition)
offiziellen Position her gar nicht befugt ist, anderen Anweisungen zu erteilen. Oder dass jemand aus undurchschaubaren Gründen Narrenfreiheit genießt und jede Kritik an ihm niedergebügelt wird. Hierarchien spiegeln Machtverhältnisse keineswegs zuverlässig wider. Geradezu entscheidend ist es, dass Sie die Rituale und Prozeduren verstehen, die sich in der Abteilung eingeschliffen haben. Ist es üblich, dass sich am Beginn einer Besprechung erst mal alle kräftig loben? Oder ist das verpönt, weil darin ein Indiz für "zu große Selbstzufriedenheit" gesehen wird, die sich lähmend auf die Organisation auswirkt? Sollten Sie stattdessen lieber von den "Herausforderungen" sprechen, die vor Ihnen liegen? Oder machen Sie sich mit diesem Vokabular hier eher lächerlich?
Überhaupt müssen Sie herausfinden, was bestimmte Worte bedeuten. Das gilt insbesondere für das Wörtchen "wir". Sagt Ihr Vorgesetzter beispielsweise: "Das müssen wir in einer Woche vom Tisch bekommen…", so kann das heißen: "Das müssen Sie in einer Woche vom Tisch bekommen." Oder: "Das müssen wir gemeinsam in einer Woche vom Tisch bekommen." (Alleingänge würde er Ihnen übel nehmen). Oder auch: "Das muss ich in einer Woche vom Tisch bekommen." (Sie dürfen allenfalls Handlangerdienste leisten).
Wodurch werden die mitunter sehr stark voneinander abweichenden Spielkulturen eigentlich bestimmt? Einerseits kommt hier die Identität der Organisation (oder der Abteilung) zum Tragen. Bestimmte Verhaltensweisen, ein bestimmter Stil hat sich innerhalb der Organisation herausgebildet. Es gibt Traditionen, die weiterwirken und nicht so ohne Weiteres gekappt werden können. Andererseits nehmen die Menschen, die in der Organisation arbeiten, durch ihre persönliche Art und ihren Führungsstil Einfluss darauf, wie gespielt wird. Dabei ist auch diese persönliche Art, wie wir gesehen haben, stark geprägt dadurch, was die Organisation zulässt, erwartet oder sogar fordert.
Ein Bündel von Machtspielen
Nun lautet eine wichtige Erkenntnis der Organisationsforschung, dass jede Organisation viel komplizierter ist, als es den Anschein hat. Wenn wir davon sprechen, dass ein Unternehmen, eine politische Partei oder eine gemeinnützige Einrichtung Erwartungen hegt oder bestimmte Ziele verfolgt, so ist das eine starke Vereinfachung. Natürlich hat sie ihren Sinn, sie ist nützlich, ja unvermeidlich, wenn wir mit Organisationen zu tun haben. Aber je genauer wir hinschauen, umso komplexer wird dieses Gebilde mit seinen offiziellen und inoffiziellen Hierarchien, kurzen und langen Dienstwegen, abgestuften Feindschaften und Zweckbündnissen.
Ein wenig Orientierung bekommen wir durch den Begriff der "Spielkulturen", den ich gerade eingeführt habe. In verschiedenen Bereichen einer Organisation können jeweils andere Spielregeln gelten und für den Umgang der einzelnen Abteilungen miteinander gibt es wiederum ganz eigene Spielregeln. Die beiden Soziologen Michel Crozier und Erhard Friedberg gehen noch einen Schritt weiter: Für sie bestehen Organisationen aus nichts anderem als aus den Spielen, die von den Angehörigen der Organisation gespielt werden. Sie spielen darum, andere für die eigenen Ziele einzuspannen und selbst von denen eingespannt zu werden, weilihnen das nämlich Einflussmöglichkeiten sichert. Mit einem Wort, die Organisation ist ein riesiges Bündel von ineinander verwobenen Machtspielen.
Das ist jedoch keine skandalträchtige Enthüllung, in dem Sinne: Schauen Sie mal in Ihre Organisation, was die da machen, die spielen den ganzen Tag nur um die Macht. Vielmehr soll der Begriff des Spiels, man könnte auch sagen: die Metapher, dabei helfen, das Dickicht der Organisation besser zu durchdringen und vor allem auf Phänomene aufmerksam zu werden, die einem sonst entgehen würden.
Machtspiele im Sinne von Crozier und Friedberg sind nämlich nicht so sehr die geheimen Tricks und hinterhältigen Manipulationen von Führungskräften oder Karrieristen. Machtspiele werden vielmehr von allen betrieben, die der Organisation angehören. Im Prinzip bemüht sich nämlich jeder darum, auf andere "Zwang auszuüben, um seine eigenen Forderungen durchzusetzen" (wie bescheiden diese Forderungen auch ausfallen mögen). Und zugleich ist jeder bestrebt, seinen eigenen Freiraum gegenüber Eingriffen anderer abzuschirmen. Jeder bringt sich selbst ins Spiel durch die Möglichkeiten, die er den Mitmenschen bietet. Zugleich aber ist er bei der Verwirklichung seiner Ziele auf die
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