Mad about you
reißt mich am Oberarm zurück. Fast falle ich rückwärts die Treppe hinunter, strauchle in der Luft und schaffe es gerade so, mein Gleichgewicht zurückzuerlangen. Weil er mich festhält. Seine Finger spannen sich wie ein Schraubstock um meinen Arm.
» Ich werde es dir nicht leicht machen, Lilian«, knurrt er. Seine grauen Augen glänzen. »Glaub nicht, dass ich es dir leicht machen werde.«
» Das weiß ich. Und es ist mir egal.« Ich schüttle seine Hand ab und gehe mit heftig pochendem Herzen die Stufen zur Straße runter. Ohne einen Blick auf das weiße viktorianische Haus zu werfen, in dem ich die letzten fünf Jahre gelebt habe, setze ich mich ins Taxi und ziehe die Tür geräuschvoll zu.
» So schnell wie möglich zurück«, sage ich, dann schließe ich die Augen und atme zum ersten Mal heute tief ein und aus. Es ist vorbei. Noch nicht ganz durchgestanden, aber es ist vorbei. Ich bin allein, ich bin frei und ich muss mich zwingen, glücklich zu sein. Weil ich Angst davor habe, einsam zu sein. Abends nach der Arbeit in eine leere Wohnung zu kommen und niemanden zu haben, mit dem ich reden kann. Ich hatte nie viele Freunde, doch die wenigen Freunde, die ich hatte, reichten mir. Bis auf Kristen ist mir keiner geblieben, alle anderen haben sich auf Jonathans Seite geschlagen. Was verständlich ist, schließlich waren sie seine Freunde, und ich habe mich durch die Ehe in ihre Leben gemogelt.
Ich bin trotzdem stolz auf mich . Weil ich es durchgezogen habe. Weil ich meine Angst endlich überwunden und ihn verlassen habe. Weil ich nicht länger ein menschlicher Fußabtreter sein wollte. Ich sollte das heute feiern. Und seltsamerweise sendet mein Körper Signale an mein Gehirn, die mir klar machen, dass er eine ganz eigene Idee für diese Feier hat.
*
»Das schwarze oder das dunkelrote Kleid? Was meinst du?«, frage ich mein Spiegelbild. Auf dem Nachttisch, den ich letzte Woche bei Ikea gekauft habe, steht ein angetrunkenes Champagnerglas. In Ermangelung einer Freundin, die ich um Rat bitten könnte, rede ich halt mit mir selbst. Was eigentlich ganz nett ist, schließlich widerspreche ich mir selten. Jetzt, so allein in einer kleinen Wohnung, fühle ich mich frei für solche Dinge. Halte in der Dusche Dankesreden für irgendwelche Preisverleihungen in eine Shampooflasche. Führe Interviews über meine Zukunftspläne, während ich ein Fertiggericht zubereite.
Wie stellst du dir dein Leben in zehn Jahren vor, Lilly?
Oh, ich werde beruflich erfolgreich sein, aber nicht zu sehr, weil mir meine Freizeit immer noch wichtig ist. Ich werde einen liebevollen Ehemann haben, der mich auf Händen trägt und der auch nach vielen Ehejahren die Finger nicht von mir lassen kann. Zwei oder drei reizende Kinder und eine verschmuste Katze, die mir abends die Füße wärmt. Ich werde glücklich sein. Vollständig.
Ich grinse mich im Spiegel an und zupfe an einer Haarsträhne, die aus meinem Pferdeschwanz gerutscht ist. Im Gegensatz zu Kristens sind meine Haare nicht glatt und geschmeidig wie aus einer Shampoowerbung, sondern sehr widerspenstig, weshalb ich sie aus Bequemlichkeit meistens hochstecke. Das mag daran liegen, dass ich sie nur zweimal in der Woche wasche und keine Lust dazu habe, regelmäßige Pflegepackungen und Friseurbesuche auf mich zu nehmen. Normalerweise ist es mir egal, aber ausgerechnet heute frage ich mich ständig, ob ich überhaupt noch attraktiv genug bin. Dabei habe ich nichts weiter vor, als mich mit meinem Scheidungsanwalt zu treffen. Wieso stören mich die Fältchen auf der Stirn jetzt? So sehr, dass ich vor dem Spiegel verschiedene Gesichtsausdrücke übe, um zu prüfen, bei welchem Ausdruck so wenig Falten wie möglich zu sehen sind.
» Schwarz ist seriös und stilvoll, damit machst du nichts falsch«, sagt mein Spiegelbild und nickt mir aufmunternd zu. Dann runzelt es die Stirn. »Aber dunkelrot wirkt nicht so düster und nach Trauerfeier.«
» Danke, du bist mir eine großartige Hilfe.« Seufzend stopfe ich beide Kleider in den Schrank zurück und öffne die Kiste, die Jonathan mit Müll oder Lilly beschriftet hat. Ich ziehe ein uraltes Kleid heraus. Tausend Ameisen kribbeln durch meinen Körper, als mir einfällt, wann ich es zuletzt getragen habe. Es ist das Kleid, das ich für meine Abschlussfeier an der Uni gekauft habe. Sie war an jenem Abend, drei Tage vor unserer Hochzeit. Jonathan war zu beschäftigt, um mich zur Uni zu begleiten, aber ich wollte feiern. Das Studium
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