Madam Wilkin's Palazzo
einen Gefallen zu
bitten, ohne lange zu überlegen, ob sie auch reif genug ist, mit der Situation
fertig zu werden. Also verderben Sie jetzt nicht alles, indem Sie sich
entschuldigen.«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich weiß
nicht, was ich dazu sagen soll. Keine Ahnung, wie Sie darauf kommen, daß ich
Sie bedauere. Nichts könnte mir ferner liegen. Sollen wir jetzt ein paar
höfliche Bemerkungen über die schöne Landschaft machen, oder wollen wir lieber
anhalten und irgendwo zusammen etwas trinken?«
»Ich würde schrecklich gern etwas
trinken. Warum lassen wir das Auto nicht einfach hier stehen und spazieren
hinunter zum Hampshire House? Natürlich nur, wenn das nicht zu teuer ist«,
fügte sie aus alter Gewohnheit hinzu.
»Oh, ich glaube, einen oder zwei Scotch
können wir uns ruhig erlauben. Haben Sie in der letzten Zeit noch etwas von
unserem frischvermählten Paar gehört?«
Sie plauderten über Sarahs würdevollen
Cousin Adolphus Kelling und seine zwar ungewöhnliche, doch bisher glückliche
Ehe mit einer ehemaligen, inzwischen pensionierten Verkäuferin, die ihr eigenes
Recycling-Programm für die Abfalltonnen auf dem Boston Common entwickelt hatte.
Sie ließen den Wagen in der riesigen Betonhöhle unter ebendiesem Common stehen
und schlenderten die Beacon Street hinunter zu dem recht luxuriösen Restaurant,
in dem Bittersohn Sarah an jenem Tag, den sie nie in ihrem Leben vergessen
würde, ein Mittagessen spendiert hatte. Sie fragte sich, ob er sich wohl auch
noch daran erinnerte, dachte aber nicht im Traum daran, nur ein Sterbenswort
darüber zu verlieren, nachdem sie derart unerwartet ihr Innenleben vor ihm
ausgebreitet hatte.
Für ein frühes Abendessen war es schon
zu spät, für ein spätes noch zu früh, daher hatten sie die Bar mehr oder
weniger für sich allein.
Die Kellnerin war zufrieden, sie mit
ihren Drinks allein lassen zu können. Sarah fühlte sich hervorragend, bis sie
zufällig einen Blick auf Bittersohns Uhr warf.
»Ich glaube, ich sollte mich besser auf
den Heimweg machen. Mrs. Sorpende wäre bestimmt schrecklich verletzt, wenn ich
heute nicht rechtzeitig erschiene.«
»In Ordnung. Dann sind Sie jetzt also
wieder die Pensionswirtin, und ich bin Ihr Pensionsgast.« Bittersohn kümmerte
sich um die Rechnung, und sie gingen den Hügel zur Tulip Street hinauf. Sie
kamen gerade noch rechtzeitig. Cousin Brooks und seine Bekannte betraten
bereits die Eingangshalle, als Sarah und ihr Begleiter von Charles in aller
Form begrüßt und hereingebeten wurden.
Cousin Brooks hatte offensichtlich
keine Mühe gescheut, Sarah vor ihren Pensionsgästen, die er nie zuvor gesehen
hatte, alle Ehre zu machen. Sein spärliches graues Haar war aufs sorgfältigste
pomadisiert. Sein etwas bejahrter graugrüner Tweedanzug war so akurat gebügelt,
daß man sich an den messerscharfen Bügelfalten schneiden konnte. Die
Schwanzfeder eines Haubentauchers zierte das Band seines Strohhutes, den er
stets beim Treffen der ehemaligen Harvard-Studenten zu tragen pflegte.
Dolores Tawne sah genauso aus, wie
Sarah es sich vorgestellt hatte: eine tonnenförmige Dame mittleren Alters mit
rotem Gesicht, rotem Haar, auf kampflustige Weise gutgelaunt, begeistert über
die unerwartete Einladung, aber auch bereit, jederzeit lautstark zu
protestieren, sobald ihr irgend etwas nicht passen sollte. Sie trug einen
soliden beigefarbenen Tweedmantel, ein solides, bügelfreies beigefarbenes
Hemdblusenkleid und solide braune Wanderschuhe aus Leder. Ihre Handschuhe waren
aus beigefarbenem Nylon, ihre Handtasche war aus handverarbeitetem Rindsleder.
Handverarbeiteter emaillierter Kupferschmuck zierte in Mengen ihren Hals und
klirrte an ihren Handgelenken. Sie war erfreut, hier sein zu dürfen, und sagte
dies, bevor sie Brooks auch nur die Gelegenheit gegeben hatte, sie
vorzustellen.
»Und wir freuen uns auch sehr, Sie
kennenzulernen«, erwiderte Sarah, wie es der Anstand erforderte. »Sollen wir zu
den anderen hineingehen, Brooks?«
»Wie bitte? Oh ja, natürlich«,
erwiderte er, ohne dabei seine Augen von einer Stelle links über Sarahs Kopf
abzuwenden. Was ihn derart faszinierte, war natürlich die zauberhafte
Gastgeberin des heutigen Abends, Mrs. Theonia Sorpende.
Sarah hatte Mrs. Sorpende vor einiger
Zeit einen Armvoll Dessous geschenkt, die zur Aussteuer ihrer Schwiegermutter
gehört hatten und aus einer Zeit stammten, als Georgette und Crêpe de Chine
noch als der letzte Schrei gegolten hatten und alles mit mindestens
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