Madam Wilkin's Palazzo
hätte
bestimmt auch Geheimnisse. Wie schön! Und wie schrecklich traurig!«
»Was finden Sie daran traurig?«
»Daß er Sie hat gewählt und nicht mich.
Des einen Freud ist des anderen Leid. Ich nehme noch etwas von deinem
köstlichen Tee, Dolores, und eine Menge von diesen lustigen kleinen Kuchen.
Dann werde ich sittsame kleine Verführerin in mein Atelier entführen und mich
mit ihr über Liebe und Max Bittersohn unterhalten.«
»Was für eine großartige Idee«, sagte Mrs.
Tawne kurzangebunden. »Möchten Sie noch eine Tasse Tee, bevor Sie gehen, Mrs.
Kelling?«
Sarah sah keinen Grund abzulehnen, denn
die Einladung der Gräfin war zu verlockend, und zudem schien diese gar nicht
vorzuhaben, sehr bald zu gehen, wenn man danach urteilte, wie sie sich die
Erfrischungen schmecken ließ. Als die Gräfin Ouspenska endlich satt war,
wischte sie sich mit einer der ausgefallenen Papierservietten, mit denen
Dolores sie alle bedacht hatte, die Lippen ab, packte vorsichtig die
übriggebliebenen Sandwiches darin ein und erklärte: »Jetzt wir können gehen.«
Sarah nahm ihre Handtasche, dankte Mrs.
Tawne für den reizenden Nachmittag — ungewöhnlich war er ja auf jeden Fall
gewesen —, und folgte ihrer exotischen neuen Bekannten hinaus in den Flur. Das
Atelier von Gräfin Ouspenska war zwar räumlich ähnlich aufgeteilt wie das
Atelier, das sie gerade verlassen hatten, ansonsten jedoch völlig anders. Bei
Dolores Tawne hatte es ausgesprochen aufgeräumt und ordentlich ausgesehen,
während hier absolutes Chaos herrschte. Es gab eine Unmenge von Möbeln, die
jedoch offenbar alle nicht viel wert waren und unbedingt staubgewischt werden
mußten. Es gab Tischläufer und Vasen mit Papierblumen. In dem Raum standen
allerdings auch mindestens ein Dutzend Ikonen, die zu Sarahs Erstaunen absolut
echt aussahen.
Die Gräfin legte das Päckchen mit den
Sandwiches vorsichtig auf das Regalbrett einer kaputten chinesischen Etagere.
»Dolores ist zwar langweilig, aber sehr warmherzig«, bemerkte sie. »Diese Woche
ich muß Miete bezahlen, also kann ich mir nichts zu essen leisten!«
Sarah schaute sie entgeistert an. Sie
hatte bisher immer angenommen, daß sie selbst knapp bei Kasse sei, doch sie
hatte noch nie hungern müssen. »Aber diese Ikonen hier«, stammelte sie, »sehen
sehr wertvoll aus. Sie könnten sie doch vielleicht — «
»Verkaufen? Oh nein, niemals. Ohne
meine Ikonen ich würde in Gosse liegen und verhungern«, sagte die Gräfin
fröhlich. »Sehen Sie mal, was ich mache.«
Sie führte ihren Gast durch das
Labyrinth von Möbeln zu einem Tisch, auf dem eine der Ikonen stand. Daneben lag
mitten in einem Durcheinander von ausgedrückten Farbtuben, abgenutzten Pinseln
und Stapeln schmutziger Baumwolläppchen das genaue Ebenbild, es fehlte nur noch
das Goldblatt auf dem Heiligenschein des Jesuskindes.
»Morgen wird es fertig. Sehr schwer,
jedes Detail originalgetreu zu kopieren. Erst ich verkaufe es, dann ich esse.
Ich wollte, ich könnte schneller malen, dann ich könnte auch mehr essen. Für
schöne falsche Ikonen es gibt immer Abnehmer, und keiner kann kopieren so gut
wie ich. Ich bin einzigartig.«
»Das kann ich mir gut vorstellen«,
sagte Sarah und hoffte, daß die Gräfin recht hatte. »Wo verkaufen Sie Ihre
Ikonen denn?«
»Ah, das ist mein Geheimnis. Nicht mal
unter Höllenqualen und Folter würde ich verraten. Nicht gut für Geschäft,
verstehen Sie?«
»Natürlich. Bitte verzeihen Sie mir,
daß ich diese dumme Frage überhaupt gestellt habe.«
»Ich bin wunderbare Geschäftsfrau«,
sagte die Gräfin mit einer Selbstzufriedenheit, die so ganz im Gegensatz zu
ihren Lebensumständen zu stehen schien. »Ist jetzt auch nötig, wo ich bin alt
und häßlich.«
»Aber das sind Sie doch gar nicht!«
»Schöne Worte von Lippen von schöne
Frau sind nett, aber ich sage, zur Hölle mit Emanzipation! Lieber Mann, der
immer Rechnung bezahlt. Für Sie der wunderbare Max rückt Geld raus, nicht?«
»Er bezahlt seine Miete genau wie alle
anderen Pensionsgäste auch«, erwiderte Sarah pikiert. »Ich war völlig
mittellos, als mein Ehemann starb. Ich hatte nur die Wahl, entweder das Haus
aufzugeben oder damit irgendwie Geld zu machen, also habe ich angefangen,
Zimmer zu vermieten. Was die Morde betrifft, war Mr. Bittersohn sehr hilfreich.
Er hat nämlich die Nachforschungen angestellt.«
»Und jetzt erforscht er Sie, nicht
wahr? Ah, wenn ich nur wäre 20 Jahre jünger, vielleicht ich könnte auch von
Ihrem wunderbaren
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