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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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sagte: ›Ich liebe Lucie und glaube mich von ihr geliebt.‹ Außerdem ist er Arm in Arm mit ihrem Vater fortgegangen. Das ist doch ihr Vater, stimmt’s, der kleine Hässliche mit der Hahnenfeder am Hut?«
    Trotz Emmas Erklärungen glaubte Charles bereits im folgenden Rezitativ, wenn Gilbert seinem Herrn Ashton seine abscheulichen Machenschaften entwickelt, der falsche Verlobungsring, mit dem Lucie getäuscht wird, sei ein von Edgar geschicktes Liebespfand. Er gestand, die Geschichte nicht zu verstehen – wegen der Musik, die sei den Worten sehr abträglich.
    »Wen kümmert’s?« sagte Emma; »sei still!«
    »Ich will so gern«, beharrte er, sich über ihre Schulter beugend, »alles durchschauen, das weißt du ja.«
    »Sei still! sei still!« flüsterte sie ungeduldig.
    Lucie trat auf, halb gestützt von ihren Zofen, einen Kranz aus Orangenblüten im Haar und bleicher als der weiße Satin ihres Kleides. Emma dachte an ihren eigenen Hochzeitstag; sie hatte sich wieder vor Augen, dort, zwischen den Kornfeldern, auf dem kleinen Pfad, unterwegs zur Kirche. Warum hatte sie sich nicht gewehrt, gefleht wie diese hier? Im Gegenteil, sie war fröhlich, ohne den Abgrund zu sehen, auf den sie zulief … Ach! hätte sie in der Frische ihrer Schönheit, vor der Besudelung durch die Ehe und der Enttäuschung durch den Ehebruch, ihr Leben auf ein großes, starkes Herz bauen können, dann wären Tugend, Zärtlichkeit, Lust und Pflicht eins gewesen, und niemals wäre sie abgestürzt aus so großer Seligkeit. Aber dieses Glück, ganz sicher, es war eine Lüge, ausgedacht, um jedes Begehren in Verzweiflung zu wenden. Sie kannte jetzt die Kleinlichkeit der Leidenschaften, die aufgebauscht wurden von der Kunst. Also gab Emma sich Mühe, ihre Gedanken davon wegzulenken, und wollte in dieser Nachempfindung ihrer eigenen Qualen nichts anderes sehen als ein Phantasiestück, gut genug, die Augen zu ergötzen, und sie lächelte im Innern sogar voll verächtlichem Mitleid, da erschien hinten auf der Bühne, unter der Samtportiere, ein Mann in schwarzem Mantel.
    Sein breitkrempiger spanischer Hut fiel bei einer wilden Gebärde zu Boden; und sogleich hoben Instrumente und Sänger an zum Sextett. Edgar, zornfunkelnd, übertönte alle andern mit seiner klaren Stimme. Ashton schleuderte ihm in dunklen Tönen mordlüsterne Provokationen entgegen, Lucie stieß hohe Klagelaute aus, Arthur modulierte abseits in mittlerer Lage, und der Bassbariton des Pastors brummte wie eine Orgel, während die Frauenstimmen, seine Worte aufnehmend, diese auf köstliche Weise im Chor wiederholten. Alle standen in einer Reihe und gestikulierten; Wut, Rachedurst, Eifersucht, Grausen, Erbarmen und Bestürzung strömten zugleich aus ihren halboffenen Mündern. Der gekränkte Liebende schwang sein blankes Schwert; sein Spitzenkragen aus Gipüre bewegte sich über seiner Brust ruckartig auf und ab, und mit großen Schritten lief er mal nach rechts, mal nach links, sodass die vergoldeten Sporen seiner weichen, an den Knöcheln sich weitenden Stiefel auf den Brettern laut klirrten. Bestimmt hat er, dachte sie, eine unerschöpfliche Liebe, dass er sie in solchen Strömen ausgießt über die Menge. Ihre ganze Nörgellaune schwand unter der Poesie dieser Rolle, die von ihr Besitz ergriff, und hingezogen zu dem Mann durch das Trugbild der Figur, versuchte sie sich sein Leben auszumalen, dieses aufsehenerregende, ungewöhnliche, glanzvolle Leben, das auch sie hätte führen können, dank einer Fügung des Zufalls. Sie hätten sich kennengelernt, sie hätten sich geliebt! Mit ihm wäre sie durch alle Königreiche Europas von Hauptstadt zu Hauptstadt gereist, hätte seine Strapazen geteilt und seinen Stolz, die Blumen aufgelesen, die man ihm zuwarf, eigenhändig seine Kostüme bestickt; jeden Abend, in einer stillen Loge, hinter dem Gitter aus goldenem Flechtwerk, hätte sie dann staunend den Ergüssen dieser Seele gelauscht, die nur für sie allein sang; von der Bühne hätte er, mitten in seinem Spiel, zu ihr geschaut. Ein Wahn erfasste sie: er schaute zu ihr, ganz sicher! Sie wollte in seine Arme stürzen, Zuflucht suchen bei seiner Kraft, als wäre er die Inkarnation der Liebe selbst, und ihm sagen, ihm zurufen: »Entführe mich, bring mich fort, lass uns fliehen! Dir, dir! nur dir gehören all meine Begierden und all meine Träume!«
    Der Vorhang fiel.
    Leuchtgasgeruch mischte sich unter den Odem; das Gewedel der Fächer machte die Luft noch stickiger. Emma wollte

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