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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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hinausgehen; die Menge drängelte sich in den Korridoren, und sie fiel zurück auf den Sessel mit einem Herzrasen, das ihr den Atem nahm. Charles hatte Angst, sie könnte ohnmächtig werden, lief zum Büfett und holte ihr ein Glas Mandelmilch.
    Er hatte große Mühe, wieder an seinen Platz zu gelangen, denn bei jedem Schritt rammte jemand gegen seine Ellbogen, wegen des Glases, das er in Händen hielt, und er schüttete sogar drei Viertel davon auf die Schultern einer Rouennaiserin in kurzen Ärmeln, die, verspürend, wie das kalte Nass ihr den Rücken hinabrann, Pfauenschreie ausstieß, als würde man sie ermorden. Ihr Gatte, der Spinnereibesitzer war, ereiferte sich über den Tolpatsch; und während sie mit einem Taschentuch die Flecken auf ihrem schönen kirschroten Taftkleid trocknete, brummte er in grimmigem Ton die Worte Schadenersatz, Kosten, Vergütung. Endlich war Charles wieder bei seiner Frau und sagte keuchend:
    »Meiner Seel, ich hab’ schon gemeint, ich schaff’s nicht mehr! So viel Menschen! … So viel Menschen! …«
    Er ergänzte:
    »Rat mal, wen ich da oben getroffen habe? Monsieur Léon!«
    »Léon?«
    »Höchstpersönlich! Er wird gleich kommen und dir seine Aufwartung machen.«
    Und kaum hatte er diese Worte zu Ende gesprochen, betrat der frühere Kanzlist aus Yonville die Loge.
    Mit weltmännischer Nonchalance reichte er die Hand: und Madame Bovary gab ihm mechanisch die ihre, wohl der Anziehungskraft eines stärkeren Willens gehorchend. Sie hatte diese Hand nicht mehr gespürt seit jenem Frühlingsabend, an dem es auf die grünen Blätter regnete, als sie einander Lebewohl sagten, stehend, am Fenster. Doch schnell wurde ihr bewusst, was sich in dieser Situation ziemte, sie schüttelte die Benommenheit der Erinnerungen ab und stammelte hastig ein paar Sätze.
    »Oh! Guten Tag … Na so was! Sie hier?«
    »Ruhe!« rief eine Stimme aus dem Parterre, denn der dritte Akt begann.
    »Sie sind also in Rouen?«
    »Ja.«
    »Und seit wann?«
    »Raus! Raus!«
    Man drehte die Köpfe nach ihnen; sie verstummten.
    Doch mit diesem Augenblick hörte sie nicht mehr zu; und der Chor der Gäste, die Szene mit Ashton und seinem Diener, das große Duett in D-Dur, alles geschah für sie in weiter Ferne, als wären die Instrumente auf einmal leiser und die Figuren viel blasser; sie musste an die Kartenpartien beim Apotheker denken, den Spaziergang zur Amme, die Lektüren in der Laube, das Beisammensein am Kaminfeuer, diese ganze armselige Liebe, so still und so dauerhaft, so zurückhaltend, so zärtlich, und dennoch von ihr vergessen. Warum kehrte er wieder? Welche Verkettung von Umständen führte ihn zurück in ihr Leben? Er stand hinter ihr, eine Schulter gegen die Zwischenwand gelehnt; und von Zeit zu Zeit erschauerte sie unter dem lauwarmen Atem seiner Nase, der hinabglitt durch ihr Haar.
    »Macht es Ihnen Spaß?« fragte er, sich so weit zu ihr herabbeugend, dass die Spitze seines Schnurrbarts ihre Wange streifte.
    Sie antwortete leichthin:
    »Ach! mein Gott, nein! nicht besonders.«
    Darauf unterbreitete er den Vorschlag, das Theater zu verlassen und noch irgendwo ein Eis zu essen.
    »Oh! nicht jetzt! bleiben wir doch!« sagte Bovary. »Ihr Haar ist aufgelöst: da wird es bestimmt tragisch.«
    Aber die Wahnsinnsszene interessierte Emma kein bisschen, und das Spiel der Sängerin dünkte sie übertrieben.
    »Sie schreit zu laut«, sagte sie, an Charles gewandt, der zuhörte.
    »Ja … vielleicht … ein wenig«, entgegnete er, schwankend zwischen dem Eingeständnis seines Vergnügens und der Achtung vor den Ansichten seiner Frau.
    Nun sagte Léon seufzend:
    »Diese Hitze hier …«
    »Unerträglich! Sie haben recht.«
    »Ist dir unwohl?« fragte Bovary.
    »Ja, ich ersticke; lass uns gehen.«
    Monsieur Léon legte ihr behutsam den langen Spitzenshawl über die Schultern, und sie schlenderten zu dritt hinunter zum Hafen und setzten sich im Freien vor die Glasfenster eines Kaffeehauses.
    Zunächst war von ihrer Krankheit die Rede, obwohl Emma hin und wieder Charles unterbrach, aus Furcht, sagte sie, Monsieur Léon zu langweilen; und dieser erzählte ihnen, er sei für zwei Jahre nach Rouen gekommen, um in einer bedeutenden Kanzlei Erfahrungen mit Rechtsfällen zu sammeln, die in der Normandie so ganz anders wären als die in Paris. Dann erkundigte er sich nach Berthe, der Familie Homais, Mutter Lefrançois; und da sie einander, in Gegenwart des Ehemanns, nicht viel mehr zu sagen hatten, geriet die Unterhaltung

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