Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Sakrileg.
Doch Seidengeraschel auf den Steinplatten, eine Hutborte, ein schwarzes Mäntelchen … Da war sie! Léon sprang auf und lief ihr entgegen.
Emma war blass. Sie ging schnell.
»Lesen Sie!« sagte sie und hielt ihm ein Blatt hin … »Ach, nein!«
Und plötzlich zog sie ihre Hand zurück und trat in die Marienkapelle, wo sie neben einem Stuhl niederkniete und anfing zu beten.
Der junge Mann ärgerte sich über diese bigotte Laune; dann empfand er jedoch einen gewissen Zauber, sie so zu sehen, während eines Rendezvous, in tiefe Andacht versunken wie eine andalusische Marquise; dann langweilte er sich ziemlich rasch, weil sie kein Ende fand.
Emma betete, oder bemühte sich vielmehr zu beten, in der Hoffnung, vom Himmel werde blitzartig ein Entschluss auf sie herabfahren; und um den göttlichen Beistand herbeizuzwingen, heftete sie ihre Augen auf den Glanz des Tabernakels, atmete den Duft der weiß blühenden Nachtviolen in hohen Vasen und lauschte gespannt auf die Stille der Kirche, das aber versetzte ihr Herz nur in noch größeren Aufruhr.
Sie erhob sich, und schon wollten sie gehen, da kam der Schweizer geschäftig herbei und sagte:
»Madame ist wohl nicht von hier? Madame möchten die Sehenswürdigkeiten der Kirche besichtigen?«
»Nein, nein!« rief der Kanzlist.
»Warum nicht?« fragte sie.
Denn sie klammerte sich mit ihrer wankenden Tugend an die Jungfrau Maria, an die Bildwerke, an die Grabmäler, an jede sich bietende Gelegenheit.
Um der Reihe nach vorzugehen, führte der Schweizer sie zum Eingang, hinaus auf den Platz, wo er ihnen mit seinem Stock einen großen Kreis aus schwarzen Pflastersteinen zeigte, ohne Inschrift oder Ziselierung:
»Hier«, sagte er würdevoll, »sehen Sie den Umfang der schönen Glocke von Amboise. Sie wog vierzigtausend Pfund. Sie hatte nicht ihresgleichen in ganz Europa. Der Handwerker, der sie gegossen hat, ist darüber vor Freude gestorben …«
»Gehen wir«, sagte Léon.
Der gute Mann setzte sich in Bewegung; dann, wieder bei der Marienkapelle angelangt, breitete er mit allumfassender, demonstrativer Gebärde die Arme aus, und mit größerem Stolz als ein bäurischer Grundbesitzer, der seine Spaliere zeigt:
»Diese schlichte Platte bedeckt Pierre de Brézé, den Herrn von La Varenne und Brissac, Großmarschall des Poitou und Statthalter der Normandie, gefallen in der Schlacht von Montlhéry, am 16. Juli 1465.«
Léon biss sich zappelnd auf die Lippen.
»Und hier rechts, dieser geharnischte Edelmann auf dem sich bäumenden Pferd ist sein Enkelsohn Louis de Brézé, Herr von Breval und Montchauvet, Graf von Maulevrier, Baron von Mauny, königlicher Kämmerer, Malteserritter und gleichfalls Statthalter der Normandie, gestorben am 23. Juli 1531, einem Sonntag, wie uns die Inschrift sagt; und darunter, dieser Mann, der sich anschickt, ins Grab zu steigen, stellt genau den Nämlichen dar. Sieht man irgendwo, was meinen Sie, eine vollkommenere Abbildung des Nichts?«
Madame Bovary zückte ihr Lorgnon. Léon beobachtete sie reglos, er versuchte nicht einmal mehr, auch nur ein Wort zu sagen, auch nur eine Bewegung zu machen, so entmutigt war er angesicht dieser Allianz von Geschwätz und Gleichgültigkeit.
Der unerschöpfliche Führer sprach weiter:
»Neben ihm, die weinende Frau auf Knien ist seine Gemahlin Diane de Poitiers, Gräfin von Brézé, Herzogin von Valentinois, geboren 1499, gestorben 1566; und links, die mit dem Kind, das ist die Heilige Jungfrau. Jetzt bitte ich Sie hierher zu sehen: das sind die Grabmäler derer von Amboise. Alle beide waren Kardinäle und Erzbischöfe von Rouen. Dieser hier war Minister Ludwigs XII. Er hat viel Gutes getan für die Kathedrale. In seinem Testament fand man dreißigtausend Goldécu für die Armen.«
Und ohne anzuhalten, immer weiterredend, schubste er sie in eine Kapelle, die vollgestellt war mit Absperrungen, räumte einige fort und befreite eine Art Block, der vielleicht einmal eine grob behauene Statue gewesen war.
»Sie zierte einst«, sagte er mit einem tiefen Klagelaut, »das Grab von Richard Löwenherz, König von England und Herzog der Normandie. Die Kalvinisten, mein Herr, haben sie so zugerichtet. Aus Bosheit hat man sie in der Erde verscharrt, unter dem Bischofsstuhl Seiner Exzellenz. Hier, sehen Sie, diese Tür führt in die Gemächer Seiner Exzellenz. Und jetzt zu den Glasfenstern der Gargouille.«
Léon jedoch zog blitzschnell eine Nickelmünze aus der Tasche und fasste nach Emmas Arm. Ganz
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