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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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denn sie kannte Léons Adresse nicht.
    »Ich werde ihn selbst überreichen«, sagte sie sich; »er kommt ja.«
    Am nächsten Tag, bei offenem Fenster und auf dem Balkon dahinträllernd, wichste Léon eigenhändig seine Eskarpins, sogar in mehreren Schichten. Er zog eine weiße Hose an, feine Socken, einen grünen Rock, goss alles, was er an Duftwässern besaß, auf sein Taschentuch, dann ließ er sich Locken drehen und wieder ausdrehen, das verlieh seinem Haar mehr natürliche Eleganz.
    »Es ist noch zu früh!« dachte er mit einem Blick auf die Kuckucksuhr des Perückenmachers, deren Zeiger auf neun standen.
    Er las ein altes Modejournal, ging hinaus, rauchte eine Zigarre, lief drei Straßen entlang, dachte, nun sei’s an der Zeit, und schlenderte lässig zum Vorplatz von Notre-Dame.
    Es war ein schöner Sommermorgen. Silberzeug blinkte in den Läden der Goldschmiede, und das schräg auf die Kathedrale fallende Licht streute ein Schimmern auf die Kanten der grauen Steine; ein Vogelschwarm wirbelte am blauen Himmel, um die Türmchen mit Spitzenwerk; der von Geschrei widerhallende Platz duftete nach den Blumen, die sein Pflaster säumten, Rosen, Jasmin, Nelken, Narzissen und Nachthyazinthen, ungleichmäßig verteilt zwischen feuchtem Grün, Katzenkraut und Vogelmiere; der Brunnen in der Mitte sprudelte, und zwischen den zu Pyramiden gestapelten Zuckermelonen, unter ausladenden Schirmen, wickelten barhäuptige Marktfrauen Veilchensträuße in Papier.
    Der junge Mann nahm einen. Es war das erste Mal, dass er Blumen kaufte für eine Frau; und während er an ihnen roch, schwoll seine Brust vor Stolz, als fiele die Huldigung, die einer anderen bestimmt war, zurück auf ihn selbst.
    Zugleich hatte er Angst, man könnte ihn sehen; entschlossen betrat er die Kirche.
    Der Schweizer stand auf der Schwelle, in der Mitte des linken Portals, unter der Tanzenden Marianne , Federbusch auf dem Kopf, Rapier an der Wade, Stock in der Hand, würdevoller als ein Kardinal und glänzend wie ein Abendmahlskelch.
    Er näherte sich Léon, und mit jenem Lächeln voll frommer Güte, das Geistliche aufsetzen, wenn sie mit Kindern reden:
    »Monsieur ist nicht von hier? Monsieur möchten die Sehenswürdigkeiten der Kirche besichtigen?«
    »Nein«, sagte der.
    Und er machte zunächst eine Runde durch die Seitenschiffe. Dann schaute er hinaus auf den Platz. Emma war nirgends zu sehen. Er ging zurück bis zum Chor.
    Das Mittelschiff spiegelte sich in den vollen Weihwasserbecken, mit dem Ansatz der Spitzbogen und Teilen der Buntglasfenster. Der Widerschein dieser Bilder jedoch brach sich am Marmorrand und lief weiter auf den Steinplatten wie ein scheckiger Teppich. Das helle Tageslicht von draußen fiel mit drei gewaltigen Strahlen in die Kirche, durch die drei offenstehenden Portale. Von Zeit zu Zeit lief hinten ein Küster vorüber und machte vor dem Altar den schrägen Kniefall der Frommen, die es eilig haben. Die Kristallüster hingen reglos. Im Chor brannte eine silberne Lampe; und aus den Seitenkapellen, den düsteren Kirchenteilen, drang bisweilen etwas wie schwere Seufzer, verbunden mit dem Klang eines herabfallenden Gitters, dessen Echo widerhallte unter den hohen Gewölben.
    Léon spazierte gemessenen Schritts längs der Mauern. Noch nie war ihm das Leben so schön erschienen. Gleich würde sie da sein, bezaubernd, erregt, auf Blicke lauernd, die ihr nachschauten – und mit ihrem volantbesetzten Kleid, ihrem goldenen Lorgnon, ihren zarten Stiefelchen, mitsamt allerlei Raffinements, in deren Genuss er nicht gekommen war, und mitsamt dem unsagbaren Reiz der Tugend, die strauchelt. Die Kirche, wie ein riesiges Boudoir, umfing sie; die Gewölbe beugten sich hernieder, um in der Dunkelheit das Geständnis ihrer Liebe zu empfangen; die Buntglasfenster funkelten, um ihr Gesicht zu erleuchten, und die Weihrauchgefäße würden brennen, damit sie gleich einem Engel erschiene, umnebelt von Wohlgeruch.
    Aber sie kam nicht. Er setzte sich auf einen Stuhl, und sein Blick schweifte zu einem blauen Glasfenster, auf dem man Schiffer sieht, die Körbe tragen. Er betrachtete es lange, aufmerksam, und er zählte die Schuppen der Fische und die Knopflöcher der Wämse, während seine Gedanken umherirrten, auf der Suche nach Emma.
    Der abseits stehende Schweizer war in seinem Innersten empört über diesen Menschen, der sich anmaßte, die Kathedrale allein zu bewundern. Ihn dünkte, er verhalte sich abscheulich, bestehle ihn gewissermaßen und begehe fast ein

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