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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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dann und wann unter dem Atlas kleine Bewegungen mit ihren Zehen.
    Dann aber seufzte sie:
    »Das Schlimmste ist doch, nicht wahr, wenn man, so wie ich, ein nutzloses Leben führt? Könnte unser Leid jemandem helfen, dann würde man sich trösten mit dem Gedanken an das erbrachte Opfer!«
    Er begann die Tugend zu rühmen, die Pflichterfüllung und stumme Hingabe, denn auch er verspürte ein unglaubliches Bedürfnis nach Selbstentäußerung, das er nicht stillen konnte.
    »Wie gern wäre ich«, sagte sie, »eine Ordensschwester im Hospital.«
    »Ach!« entgegnete er, »leider gibt es für uns Männer keine so frommen Dienste, und ich sehe weit und breit keinen Beruf …, es sei denn vielleicht den des Arztes …«
    Mit einem leichten Schulterzucken unterbrach ihn Emma und klagte über ihre Krankheit, an der sie beinah gestorben war; wie schade! sie würde jetzt nicht mehr leiden. Sogleich sehnte sich Léon nach der Grabesstille , und eines Abends gar hatte er sein Testament geschrieben und verfügt, man möge ihn in jene schöne samtgefasste Bettdecke hüllen, die er von ihr bekommen hatte; denn so wären sie am liebsten gewesen, und alle beide formten sich ein Ideal, nach dem sie jetzt ihr vergangenes Leben zurechtbogen. Außerdem ist die Sprache ein Presswerk, das die Gefühle immer weiter plattwalzt.
    Doch bei dem Märchen mit der Bettdecke:
    »Warum bloß?« fragte sie.
    »Warum?«
    Er zögerte.
    »Weil ich Sie sehr gemocht habe!«
    Und während Léon sich freute, denn er hatte die Schwierigkeit gemeistert, schielte er aus dem Augenwinkel nach ihrem Gesicht.
    Es glich dem Himmel, wenn ein Windstoß die Wolken verjagt. Der Haufen trauriger Gedanken, der sie verdüsterte, schien sich aufzulösen in ihren blauen Augen; ihr ganzes Antlitz strahlte.
    Er wartete. Schließlich antwortete sie:
    »Ich habe es immer geahnt …«
    Nun erzählten sie einander von den kleinen Ereignissen jenes fernen Lebens, dessen Freuden und Melancholien sie eben zusammengefasst hatten, in einem einzigen Wort. Er erinnerte sich an den klematisumrankten Laubengang, an die Kleider, die sie getragen hatte, die Möbel in ihrem Zimmer, ihr ganzes Haus.
    »Und unsere armen Kakteen, was ist aus ihnen geworden?«
    »Die sind im Winter erfroren.«
    »Ach! was habe ich an sie gedacht, wahrhaftig! Oft sah ich sie vor mir wie einst, wenn im Sommer morgens die Sonne auf den Jalousien stand … und ich Ihre beiden bloßen Arme erblickte, zwischen den Blumen.«
    »Armer Freund!« sagte sie und reichte ihm die Hand.
    Léon drückte darauf rasch seine Lippen. Dann, als er tief Atem geholt hatte:
    »Sie waren seinerzeit für mich eine unergründliche Macht, die mein Leben verzauberte. Einmal, zum Beispiel, kam ich zu Ihnen; aber das wissen Sie bestimmt nicht mehr?«
    »Doch«, sagte sie. »Weiter.«
    »Sie waren unten, im Vorzimmer, ausgehbereit, schon auf der letzten Stufe; – Sie trugen sogar einen Hut mit blauen Blümchen; und ohne dass Sie mich aufgefordert hätten, gegen meinen eigenen Willen, habe ich Sie begleitet. Doch mit jeder Minute wurde mir meine Dummheit bewusster, und ich lief weiter neben ihnen her, wagte nicht, einfach mit Ihnen zu gehen, und wollte Sie auch nicht verlassen. Wenn Sie einen Laden betraten, blieb ich draußen auf der Straße, beobachtete durchs Fenster, wie Sie Ihre Handschuhe abstreiften und das Geld auf den Tresen zählten. Anschließend haben Sie bei Madame Tuvache geklingelt, und ich stand da wie ein Trottel, vor der großen schweren Tür, die hinter Ihnen ins Schloss gefallen war.«
    Madame Bovary wunderte sich beim Zuhören, dass sie so alt war: all diese wiederauftauchenden Dinge schienen ihre Existenz zu dehnen; ganz so, als gäbe es unermessliche Gefühlsräume, in die sie nun zurückkehrte; und von Zeit zu Zeit sagte sie mit leiser Stimme und halb geschlossenen Lidern:
    »Ja, so war es! … so war es! … so war es …«
    Sie hörten, wie es acht schlug von den verschiedenen Uhren des Beauvoisine-Viertels, das voll ist mit Pensionaten, Kirchen und großen verlassenen Palais. Sie redeten nicht mehr; aber sie fühlten, während sie einander anschauten, ein Säuseln in ihren Köpfen, als entströmten irgendwelche Laute wechselseitig ihren starren Blicken. Sie fassten sich an den Händen; und die Vergangenheit, die Zukunft, die Erinnerungen und die Träume, alles verschmolz in der Wohligkeit dieser Verzückung. Die Nacht wurde undurchdringlicher an den Wänden, wo halbverloren im Dunkel noch die grellen Farben von vier

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