Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
Vom Netzwerk:
Drucken schimmerten, vier Szenen aus La Tour de Nesle , darunter Legenden auf spanisch und französisch. Durch das Guillotinenfenster sah man einen Zipfel schwarzen Himmels zwischen Spitzdächern.
    Sie stand auf, entzündete zwei Kerzen auf der Kommode, dann setzte sie sich wieder.
    »Nun …«, seufzte Léon.
    »Nun?« erwiderte sie.
    Und er überlegte, wie er an das unterbrochene Gespräch anknüpfen konnte, da sagte sie:
    »Wie kommt es, dass mir von solchen Gefühlen bisher niemals irgendwer gesprochen hat?«
    Der Kanzlist beteuerte, ideale Naturen seien nun einmal schwer zu verstehen. Er hingegen habe sie auf den ersten Blick geliebt; und er verzweifle beim Gedanken an das Glück, das ihnen zuteil geworden wäre, hätte eine Fügung des Zufalls sie früher zusammengeführt und miteinander vereint auf unlösbare Weise.
    »Ich habe zuweilen daran gedacht«, sagte sie.
    »Ein Traum!« murmelte Léon.
    Und zärtlich mit der blauen Borte ihres langen weißen Gürtels spielend, fügte er hinzu:
    »Was hindert uns denn, neu zu beginnen? …«
    »Nein, mein Freund«, erwiderte sie, »ich bin zu alt …, Sie sind zu jung …, vergessen Sie mich! Andere werden Sie lieben … und Sie werden wiederlieben.«
    »Nicht wie Sie!« rief er.
    »Was sind Sie nur für ein Kindskopf! Wir müssen vernünftig sein! Ich will es!«
    Sie führte ihm die Unmöglichkeiten ihrer Liebe vor Augen und dass sie beide, ganz wie einst, sich mit geschwisterlicher Freundschaft begnügen mussten.
    Sprach sie im Ernst? Das wusste Emma wohl selber nicht, zu gefangen vom Zauber der Verführung und der Notwendigkeit, sich gegen ihn zu wehren; und während sie den jungen Mann mit gerührtem Blick ansah, erwehrte sie sich behutsam der schüchternen Liebkosungen, die seine zitternden Hände wagten.
    »Oh! verzeihen Sie«, sagte er zurückweichend.
    Und Emma packte eine seltsame Furcht vor dieser Schüchternheit, die gefährlicher war als Rodolphes Draufgängertum, wenn er mit weit ausgebreiteten Armen näher kam. Nie zuvor war ein Mann ihr so schön erschienen. Eine hinreißende Arglosigkeit lag in seinem ganzen Benehmen. Er hielt die langen, seidigen Wimpern gesenkt, die sich sachte wölbten. Seine Wange mit der zarten Haut errötete – so dachte sie – aus Verlangen nach ihr, und Emma spürte unwiderstehliche Lust, ihre Lippen dagegen zu pressen. So beugte sie sich vor, wie um auf die Uhr zu schauen:
    »Mein Gott, wie spät es ist!« sagte sie; »und wir plaudern und plaudern!«
    Er verstand den Fingerzeig und nahm seinen Hut.
    »Darüber habe ich sogar die Vorstellung vergessen! Wo mich der arme Bovary eigens hiergelassen hat! Monsieur Lormeaux, aus der Rue Grand-Pont, und seine Frau sollten mitkommen.«
    Und nun war die Gelegenheit versäumt, denn am nächsten Tag würde sie fahren.
    »Wirklich?« fragte Léon.
    »Ja.«
    »Ich muss Sie aber noch einmal sehen«, fuhr er fort; »ich wollte Ihnen unbedingt sagen …«
    »Was?«
    »Etwas … Wichtiges, Ernstes. O nein! Sie werden nicht fahren, das ist unmöglich! Wenn Sie wüssten … Hören Sie … Haben Sie denn nicht verstanden? Nichts erraten? …«
    »Dabei reden Sie geschickt«, sagte Emma.
    »Ach! immer nur Scherze! Schluss damit! Bitte, erlauben Sie, dass ich Sie wiedersehe …, einmal …, ein einziges Mal.«
    »Hm …«
    Sie stockte; dann, als würde sie ihre Meinung ändern:
    »Aber nicht hier!«
    »Wo immer Sie möchten.«
    »Passt es Ihnen …«
    Sie schien zu überlegen, dann kurz und bündig:
    »Morgen um elf, in der Kathedrale.«
    »Ich werde da sein!« rief er und griff nach ihren Händen, die sie ihm entwand.
    Und da sie alle beide standen, er hinter ihr und Emma mit gesenktem Kopf, beugte er sich über ihren Hals und küsste sie lange auf den Nacken.
    »Sie sind ja verrückt! Oh! Sie sind verrückt!« sagte sie mit gurrendem Gekicher, während er sie immer weiter küsste.
    Nun reckte er den Kopf über ihre Schulter und suchte nach Einverständnis in ihren Augen. Sie blickten auf ihn mit eisiger Würde.
    Léon wich drei Schritte zurück, bis an die Tür. Auf der Schwelle blieb er stehen. Dann flüsterte er mit bebender Stimme:
    »Auf morgen.«
    Sie antwortete mit einem Nicken und verschwand wie ein Vogel im Nebenraum.
    Emma schrieb dem Kanzlisten noch am Abend einen endlosen Brief, in dem sie die Verabredung zurücknahm: jetzt sei alles vorbei, sie dürften einander, um ihrer beider Glück willen, nie wieder begegnen. Doch als der Brief verschlossen war, kam sie in große Verlegenheit,

Weitere Kostenlose Bücher