Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Sie musterten ihre Kleider, die Wäsche, das Ankleidezimmer; und ihre Existenz wurde bis in die geheimsten Winkel, wie eine Leiche, die man seziert, ausgebreitet vor den Blicken dieser drei Männer.
Maître Hareng, in einen dünnen, schwarzen Frack geknöpft, mit weißer Halsbinde und straff gespannten Hosenstegen, wiederholte von Zeit zu Zeit:
»Sie gestatten, Madame? Sie gestatten?«
Häufig entschlüpfte ihm ein Ausruf:
»Bezaubernd! … sehr hübsch!«
Dann schrieb er wieder, tauchte seine Feder in das Tintenfass aus Horn, das er in der Linken hielt.
Als sie mit den Wohnräumen fertig waren, stiegen sie auf den Dachboden.
Dort hatte sie ein Pult stehen, in dem Rodolphes Briefe eingeschlossen waren. Es musste geöffnet werden.
»Ah! eine Korrespondenz!« sagte Maître Hareng mit taktvollem Lächeln. »Doch Sie gestatten! ich muss feststellen, ob das Kästchen nichts anderes enthält.«
Und er hob das Papierbündel etwas schräg in die Luft, als wollte er Napoleondore herausschütteln. Da packte sie Empörung beim Anblick dieser feisten Hand mit den roten Fingern, so weich wie Nacktschnecken, auf diesen Blättern, über denen ihr Herz gepocht hatte.
Endlich gingen sie! Félicité kam zurück. Sie war auf die Lauer geschickt worden, um Bovary fernzuhalten; nun schafften die beiden schleunigst den Pfändungsaufseher unters Dach, und er versprach, sich nicht zu rühren.
Charles dünkte sie den ganzen Abend besorgt. Emma beobachtete ihn mit ängstlichem Blick, denn sie meinte, aus den Furchen seines Gesichts Anschuldigungen herauszulesen. Dann, als ihre Augen zum Kamin wanderten, den chinesische Schirme zierten, zu den breiten Vorhängen, zu den Sesseln, kurzum, zu all den Dingen, die ihrem Leben etwas von seiner Bitterkeit genommen hatten, spürte sie Reue oder vielmehr ein maßloses Bedauern, das ihre Leidenschaft anfachte, statt sie zu dämpfen. Charles stocherte seelenruhig in der Glut, die beiden Füße auf den Feuerböcken.
Irgendwann machte der Aufseher, der sich wahrscheinlich in seinem Versteck langweilte, ein wenig Lärm.
»Geht wer da oben?« sagte Charles.
»Nein!« erwiderte sie, »das ist eine offengebliebene Dachluke, der Wind rüttelt an ihr.«
Sie fuhr am nächsten Morgen nach Rouen, ein Sonntag, um die Bankiers aufzusuchen, deren Namen sie kannte. Alle waren auf dem Land oder verreist. Sie ließ den Mut nicht sinken; und wenn sie doch einen antraf, bat sie um Geld, beteuerte, dass sie es dringend brauche, es zurückzahlen werde. Einige lachten ihr ins Gesicht; von allen wurde sie abgewiesen.
Um zwei lief sie zu Léon, klopfte an seine Tür. Niemand öffnete. Endlich erschien er.
»Was führt dich her?«
»Störe ich?«
»Nein …, aber …«
Und er gestand, sein Vermieter dulde keinen Besuch von »Frauen«.
»Ich muss mit dir reden«, erklärte sie.
Da suchte er nach seinem Schlüssel. Sie hielt ihn zurück.
»O nein! lieber dort, bei uns.«
Und sie gingen auf ihr Zimmer, im Hôtel de Boulogne .
Gleich nach der Ankunft trank sie ein großes Glas Wasser. Sie war sehr blass. Sie sagte:
»Léon, du musst mir einen Gefallen tun.«
Und an seinen beiden Händen zerrend, die sie fest umklammerte, fügte sie hinzu:
»Hör mich an, ich brauche achttausend Franc!«
»Du bist ja verrückt!«
»Noch nicht!«
Und nun erzählte sie ihm die Geschichte mit der Pfändung, schilderte ihre Bedrängnis; denn Charles wusste von nichts, ihre Schwiegermutter verabscheute sie, Vater Rouault konnte nicht helfen; doch er, Léon, werde sich aufmachen und die nötige Summe beschaffen …
»Wie soll ich denn …?«
»Was bist du für ein Feigling!« rief sie.
Da sagte er tölpisch:
»Du übertreibst die Sache. Vielleicht lässt dein Kerl sich ja mit tausend Écu beschwichtigen.«
Ein Grund mehr, etwas zu unternehmen; es musste doch möglich sein, wenigstens dreitausend Franc aufzutreiben. Außerdem konnte doch Léon für sie bürgen.
»Geh! bemüh dich! du musst! lauf! … Oh! versuch’s! versuch’s! wie werd ich dich lieben!«
Er verschwand, kam nach einer Stunde wieder und sagte mit feierlichem Gesicht:
»Ich war bei drei Personen … vergeblich!«
Dann saßen sie einander gegenüber, jeder an einer Ecke des Kamins, reglos, wortlos. Emma zuckte die Schultern, unruhig mit den Füßen scharrend. Er hörte sie murmeln:
»Wenn ich an deiner Stelle wäre, ich würd schon welches finden!«
»Wo denn?«
»In deiner Kanzlei!«
Und sie schaute ihn an.
Teuflische Kühnheit blitzte aus ihren
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