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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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loswerden? Auch wenn sie sich erniedrigt fühlte durch die Erbärmlichkeit eines solchen Glücks, sie hing an ihm aus Gewöhnung oder Verderbtheit; und jeden Tag klammerte sie sich verbissener fest, erstickte jede Seligkeit durch maßlose Wünsche. Sie gab Léon die Schuld an ihren enttäuschten Hoffnungen, als habe er sie verraten; und sie sehnte sogar eine Katastrophe herbei, die ihre Trennung erzwang, denn ihr fehlte der Mut zu jedem Entschluss.
    Trotz allem schrieb sie weiter verliebte Briefe, kraft jener Vorstellung, dass eine Frau ihrem Liebhaber immerzu schreiben muss.
    Beim Schreiben jedoch sah sie einen anderen Mann, ein Phantom, entsprungen aus ihren brennendsten Erinnerungen, ihren schönsten Lektüren, ihren wildesten Begierden; und er wurde zuletzt so wahrhaftig und greifbar, dass sie verzückt erbebte, ohne sein Bild freilich glasklar zu erkennen, so sehr verlor er sich, einem Gotte gleich, im Überfluss seiner Attribute. Er bewohnte die blauenden Gefilde, wo seidene Leitern von Balkonen baumeln, in Blütenhauch, im Mondenschein. Sie spürte ihn ganz nahe, gleich würde er kommen und sie hinwegtragen mit einem Kuss. Danach sank sie nieder, entkräftet, zerschlagen; denn solche Anfälle nebulöser Liebe erschöpften sie mehr als wüste Ausschweifungen.
    Sie fühlte nun einen ständigen, allumfassenden Schmerz in den Gliedern. Oft erhielt Emma Vorladungen, Stempelpapier, das sie kaum ansah. Sie hätte am liebsten nicht mehr gelebt oder dauernd geschlafen.
    An Mittfasten kehrte sie nicht heim nach Yonville; sie ging abends auf den Maskenball. Sie trug eine Samthose und rote Strümpfe, dazu eine Perücke mit Zopf und einen Dreispitz über dem Ohr. Sie wirbelte die ganze Nacht im Geschmetter der Posaunen; man umringte sie; und am Morgen stand sie in der Säulenhalle des Theaters zwischen fünf oder sechs Masken, Débardeuses und Matrosen, Kameraden von Léon, die noch soupieren wollten.
    Die Kaffeehäuser ringsum waren voll. Sie entdeckten am Hafen ein schäbiges Restaurant, dessen Wirt ihnen ein Kämmerchen im vierten Stock aufschloss.
    Die Männer tuschelten in einer Ecke, berieten wahrscheinlich über die Auslagen. Es waren ein Kanzlist, zwei Medizinstudenten und ein Kommis: eine schöne Gesellschaft für sie! Was die Frauen betraf, merkte Emma rasch am Klang ihrer Stimmen, dass sie wohl fast alle dem untersten Rang angehörten. Sie bekam Angst, rückte mit dem Stuhl nach hinten und senkte den Blick.
    Die anderen begannen zu essen. Sie aß nicht; ihre Stirn glühte, die Augenlider prickelten und die Haut war eiskalt. Sie spürte in ihrem Kopf den Boden des Ballsaals noch immer vibrieren, unter dem rhythmischen Gestampfe der tausend tanzenden Füße. Dann wurde ihr schwindlig von Punschgeruch und Zigarrenrauch. Sie fiel in Ohnmacht; man trug sie ans Fenster.
    Der Morgen dämmerte, und ein großer purpurroter Fleck wuchs am fahlen Himmel, über Sainte-Catherine. Der aschgraue Fluss kräuselte sich im Wind; niemand war auf den Brücken; die Straßenlaternen erloschen.
    Sie kam jedoch wieder zu sich und dachte an Berthe, die dort schlief, im Zimmer ihres Mädchens. Da fuhr ein mit langen Bandeisen beladener Karren vorüber, und ohrenbetäubendes metallisches Beben schlug gegen die Häuserwand.
    Sie floh ganz plötzlich, entledigte sich ihres Kostüms, sagte zu Léon, sie müsse heimfahren, und blieb zuletzt allein im Hôtel de Boulogne . Alles, und auch sie selbst, war ihr unerträglich. Sie wäre gern wie ein Vogel entflogen und wieder jung geworden, irgendwo weit weg, in unbefleckten Sphären.
    Sie ging hinaus, querte den Boulevard, die Place Cauchoise und den Faubourg, bis zu einer offenen Straße, oberhalb von Gärten. Sie lief rasch, die frische Luft beruhigte: und die Gesichter der Menge, die Masken, die Quadrillen, die Lüster, das Souper, diese Frauen, alles zerstreute sich nach und nach wie verwehende Nebelschwaden. Dann, zurück in der Croix rouge , warf sie sich aufs Bett, in ihrem kleinen Zimmer der zweiten Etage, mit den Bildern aus La Tour de Nesle . Nachmittags um vier weckte sie Hivert.
    Als sie nach Hause kam, zeigte ihr Félicité hinter der Pendeluhr ein graues Schreiben. Sie las:
    »Kraft dieser Ausfertigung, in Vollstreckung eines Urteils …«
    Was für ein Urteil? Tatsächlich hatte man am Vortag ein anderes Schreiben gebracht, von dem sie nichts wusste; und darum überraschten sie auch die Worte:
    »Aufforderung im Namen des Königs, von Rechts und Gesetzes wegen, an Madame Bovary

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