Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
Vom Netzwerk:
flammenden Augen, und die Lider verengten sich lasziv und ermutigend; – sodass der junge Mann spürte, wie er schwach wurde unter dem Einfluss des stummen Willens dieser Frau, die ihn zu einem Verbrechen anstiftete. Da bekam er Angst, und um weitere Erklärungen zu verhindern, schlug er sich an die Stirn und rief:
    »Morel kommt heute nacht zurück! er wird mich nicht abweisen, hoffe ich« (das war ein Freund, Sohn eines steinreichen Kaufmanns), »und morgen bring ich’s dir«, setzte er hinzu.
    Emma schien diesen Hoffnungsfunken nicht so freudig aufzunehmen, wie er gedacht hatte. Roch sie die Lüge? Errötend sagte er:
    »Freilich, sollte ich um drei nicht da sein, warte nicht länger auf mich, mein Schatz. Ich muss jetzt gehen, verzeih mir. Leb wohl!«
    Er drückte ihre Hand, spürte jedoch, dass sie völlig leblos war. Emma hatte nicht mehr die Kraft, irgendetwas zu fühlen.
    Es schlug vier; und sie stand auf, um heimzufahren nach Yonville, gehorchte wie ein Automat dem Zwang der Gewohnheiten.
    Das Wetter war schön, einer jener klaren, frischen Märztage, wenn die Sonne an einem weißen Himmel strahlt. Die sonntäglich herausgeputzten Bürger von Rouen gingen mit glücklichen Gesichtern spazieren. Sie kam auf den Platz vor der Kathedrale. Der Vespergottesdienst war zu Ende; die Menge strömte aus den drei Portalen wie ein Fluss durch die drei Bögen einer Brücke, und in der Mitte stand regloser als ein Fels der Schweizer.
    Nun erinnerte sie den Tag, da sie bange und hoffnungsvoll dieses mächtige Kirchenschiff betreten hatte, das sich auftat vor ihr, weniger tief als ihre Liebe; und sie lief weiter, unter ihrem Schleier weinend, benommen, taumelnd, halb ohnmächtig.
    »Vorsicht!« schrie eine Stimme aus einer sich öffnenden Toreinfahrt.
    Sie blieb stehen, um einen ungeduldig scharrenden Rappen mitsamt seinem Tilbury vorbeizulassen, den ein Gentleman im Zobelpelz lenkte. Wer war das? Sie kannte ihn … Der Wagen preschte los und verschwand.
    Natürlich, der Vicomte! Sie wandte den Kopf: die Straße war leer. Und sie war so niedergedrückt, so traurig, dass sie sich gegen eine Mauer lehnte, um nicht zu stürzen.
    Dann meinte sie, einer Täuschung erlegen zu sein. In Wirklichkeit wusste sie gar nichts. Alles, in ihr selbst und außerhalb, ließ sie im Stich. Sie fühlte sich verloren, als stolpere sie willenlos in dunkle Abgründe; und fast schon mit Freude erkannte sie beim Eintreffen in der Croix rouge den guten Homais, der beobachtete, wie eine große Kiste voll pharmazeutischer Vorräte auf die Hirondelle geladen wurde. In der Hand hielt er, von einem Tuch umwickelt, sechs Cheminots für seine Gattin.
    Madame Homais liebte diese schweren, turbanförmigen Brötchen, die man in der Fastenzeit mit salziger Butter isst: ein letztes Überbleibsel mittelalterlicher Speisen, das vielleicht aus dem Jahrhundert der Kreuzzüge stammt, denn einst füllten die kräftigen Normannen damit ihre Wänste und meinten, sie sähen auf ihrem Tisch im Schein gelber Fackeln, zwischen Krügen mit Hypokras und gigantischen Schlachtplatten, Sarazenenköpfe serviert. Die Frau des Pharmazeuten biss, ganz wie jene, heldenmütig hinein, trotz ihrer schäbigen Zähne; darum versäumte es Monsieur Homais auch niemals, wenn er in die Stadt fuhr, ihr welche mitzubringen, und stets kaufte er sie bei dem berühmten Hersteller, in der Rue Massacre.
    »Hocherfreut, Sie zu sehen!« sagte er und reichte Emma die Hand, um ihr in die Hirondelle zu helfen.
    Dann hängte er seine Cheminots an die Riemen des Gepäcknetzes und saß da, barhäuptig und mit verschränkten Armen, in gedankenvoller und napoleonischer Pose.
    Als jedoch der Blinde wie gehabt am Fuß der Anhöhe erschien, rief er:
    »Ich begreife nicht, dass die Obrigkeit solch sträfliches Treiben noch duldet! Einsperren sollte man diese Hungerleider und zu irgendeiner Arbeit zwingen! Der Fortschritt, bei meiner Ehre, kriecht im Schneckentempo! wir zappeln in tiefster Barbarei!«
    Der Blinde streckte seinen Hut herein, der überm Wagenschlag baumelte wie ein losgerissener Fetzen von der Polsterung.
    »Ja«, sagte der Apotheker, »das ist eine skrofulöse Erkrankung!«
    Und obwohl er den armen Teufel kannte, tat er, als sähe er ihn zum ersten Mal, grummelte die Worte Cornea , harte Cornea , Sklera , Facies , dann fragte er in gönnerhaftem Ton:
    »Hast du dieses entsetzliche Leiden schon lange, mein Freund? Statt dich im Wirtshaus zu betrinken, solltest du lieber Diät halten.«
    Er empfahl

Weitere Kostenlose Bücher