Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
ist das Gemälde: auf der einen Seite der Priester, der die Sterbegebete spricht; auf der anderen der Leierkastenspieler, der der Sterbenden ein Lachen entlockt, »ein schauriges, irres, verzweifeltes Lachen, denn sie glaubte das scheußliche Gesicht des Bettelmanns zu erblicken, bedrohlich aufgerichtet in der ewigen Finsternis wie ein Schreckensbild … Ein Krampf warf sie auf die Matratze. Alle traten heran. Sie lebte nicht mehr.«
Und dann hinterher, sobald der Körper kalt ist, was man vor allen Dingen achten muss, das ist der Leichnam, den die Seele verlassen hat. Wenn der Ehemann kniet und seine Frau beweint, wenn er das Leichentuch über sie gebreitet hat, da hätte jeder andere aufgehört, und das ist der Augenblick, in dem Monsieur Flaubert den letzten Pinselstrich auftrug.
»Das Laken war eingesunken von ihren Brüsten bis zu ihren Knien und hob sich dann wieder bei den Zehenspitzen.«
Das ist die Todesszene. Ich habe sie abgekürzt, ich habe sie gewissermaßen zusammengezogen. Es liegt an Ihnen zu urteilen oder zu bewerten, ob das nun eine Vermischung von Heiligem und Profanem ist, oder ob es nicht vielmehr eine Vermischung von Heiligem und Lüsternem ist.
Ich habe den Roman nacherzählt, dann habe ich Anschuldigungen gegen ihn erhoben, und, gestatten Sie mir, das zu sagen, das Genre, das Monsieur Flaubert pflegt, das er ohne die Rücksichtnahmen der Kunst verwirklicht, aber mit allen Mitteln der Kunst, ist das deskriptive Genre, die realistische Darstellung. Sehen Sie, bis an welche Grenze er gelangt. Letzthin fiel mir eine Nummer des Artiste in die Hände; es geht hier nicht darum, den Artiste anzuschuldigen, sondern herauszufinden, welches Genre das von Monsieur Flaubert ist, und ich bitte Sie um die Erlaubnis, einige Zeilen aus der Schrift zu zitieren, die in keiner Weise über die Schrift entscheiden, deretwegen Monsieur Flaubert angeklagt ist, und ich sah darin, wie hervorragend Monsieur Flaubert im Darstellen ist; er liebt es, Versuchungen darzustellen, vor allem die Versuchungen, denen Madame Bovary erlegen ist. Nun! ich finde ein Beispiel für das Genre in den folgenden paar Zeilen aus dem Artiste vom Januar, gezeichnet Gustave Flaubert , über die Versuchung des heiligen Antonius. Mein Gott! das ist ein Thema, über das man viel sagen kann, aber ich glaube nicht, dass es möglich ist, dem Bild mehr Lebendigkeit, der Darstellung mehr Glanz zu verleihen als in diesen Worten des Apollinaire an den heiligen Antonius: »Ist es die Wissenschaft? Ist es der Ruhm? Willst du deine Augen erfrischen an feuchtem Jasmin? Willst du spüren, dass dein Körper eindringt wie in eine Woge in das süße Fleisch verzückter Frauen?«
Nun! das ist dieselbe Farbe, dieselbe Energie des Pinsels, dieselbe Lebendigkeit im Ausdruck!
Ich muss das Gesagte zusammenfassen. Ich habe das Buch analysiert, ich habe nacherzählt, ohne eine Seite zu vergessen, ich habe danach Anschuldigungen erhoben, das war der zweite Teil meiner Aufgabe: ich habe einige Porträts genauer beschrieben, ich habe Madame Bovary in Ruhestellung gezeigt, mit ihrem Ehemann, mit jenen, die sie nicht versuchen sollte, und ich habe Ihnen die lasziven Farben dieses Porträts vor Augen geführt! Dann habe ich einige große Szenen analysiert; den Fehltritt mit Rodolphe, das religiöse Zwischenspiel, die Liebschaft mit Léon, die Szene des Todes, und in allen habe ich das doppelte Vergehen von Verletzung der öffentlichen Moral und der Religion gefunden.
Ich brauche nur zwei Szenen: Verstoß gegen die Moral, sehen Sie ihn nicht im Fehltritt mit Rodolphe? Sehen Sie ihn nicht in der Verherrlichung des Ehebruchs? Sehen Sie ihn nicht ganz besonders in dem, was sich mit Léon abspielt? Und dann, Verstoß gegen die religiöse Moral, ich finde ihn in der Bemerkung über die Beichte, S. 30 der ersten Folge, Nummer vom 1. Oktober, im religiösen Zwischenspiel, S. 548 und 550 vom 15. November, und schließlich in der letzten Szene des Todes.
Sie haben, meine Herren, drei Angeklagte vor sich: Monsieur Flaubert, den Autor des Buches, Monsieur Pichat, der es angenommen hat, und Monsieur Pillet, der es gedruckt hat. Auf diesem Gebiet gibt es kein Vergehen ohne Öffentlichkeit, und alle, die zur Veröffentlichung beigetragen haben, müssen gleichermaßen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir beeilen uns aber zu sagen, der Herausgeber der Revue und der Drucker stehen nur in zweiter Linie. Der Hauptbeschuldigte, das ist der Autor, das ist Monsieur Flaubert, Monsieur
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