Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Flaubert, der, gewarnt durch die Mitteilung der Redaktion, gegen die in seinem Werk vorgenommenen Streichungen protestiert. Nach ihm kommt in zweiter Reihe Monsieur Laurent Pichat, von dem Sie Rechenschaft verlangen werden, nicht für diese Streichungen, die er vorgenommen hat, sondern für die anderen, die er hätte vornehmen müssen, und schließlich kommt in hinterster Linie der Drucker, der ein vorgeschobener Wachposten gegen den Skandal ist. Monsieur Pillet ist im übrigen ein ehrbarer Mann, gegen den ich nichts zu sagen habe. Wir bitten Sie nur um eines, nämlich das Gesetz auf ihn anzuwenden. Drucker müssen lesen; wenn sie nicht gelesen haben oder nicht haben lesen lassen, dann drucken sie auf eigene Gefahr. Drucker sind keine Maschinen; sie haben ein Privileg, sie leisten einen Eid, sie sind in einer besonderen Lage, sie sind verantwortlich. Noch einmal, sie sind, gestatten Sie mir den Ausdruck, wie vorgeschobene Wachposten; wenn sie das Vergehen durchlassen, so ist das, als ließen sie den Feind durch. Mildern Sie die Strafe, sosehr Sie wollen, gegenüber Pillet; seien Sie sogar nachsichtig gegenüber dem Herausgeber der Revue ; was Flaubert betrifft, den Hauptschuldigen, ihm müssen Sie mit aller Härte begegnen!
Meine Aufgabe ist erfüllt, nun müssen wir auf die Einwände warten bzw. ihnen vorbauen. Als allgemeinen Einwand wird man uns sagen: Aber alles in allem ist der Roman im Grunde moralisch, denn der Ehebruch wird ja bestraft?
Auf diesen Einwand gibt es zwei Antworten: Wenn ich annehme, das Werk ist moralisch, als Hypothese, so kann ein moralischer Schluss die lasziven Details, die es enthalten mag, nicht amnestieren. Und dann sage ich: Das Werk ist im Grunde nicht moralisch.
Ich sage, meine Herren, laszive Details können nicht mit einem moralischen Schluss zugedeckt werden, dann könnte man ja alle nur denkbaren Orgien erzählen, alle Schändlichkeiten einer Dirne beschreiben, wenn man sie auf einem Elendslager im Armenhaus sterben lässt. Es wäre erlaubt, all ihre lasziven Posen zu studieren und zu zeigen! Das hieße, gegen alle Regeln des gesunden Menschenverstands verstoßen. Das hieße, das Gift in Reichweite aller stellen und das Heilmittel in Reichweite sehr weniger, wenn es ein Heilmittel gäbe. Wer liest den Roman von Monsieur Flaubert? Sind es Männer, die sich um Volks- oder Gemeinwirtschaft kümmern? Nein! Die leichten Seiten von Madame Bovary fallen in noch leichtere Hände, in die Hände junger Mädchen, manchmal verheirateter Frauen. Nun! wenn die Phantasie verführt worden ist, wenn diese Verführung bis ins Herz gedrungen ist, wenn das Herz zu den Sinnen gesprochen hat, glauben Sie, dass kühles Argumentieren etwas vermag gegen diese Verführung der Sinne und des Gefühls? Und außerdem, der Mann darf sich nicht allzusehr in seine Kraft und seine Tugend hüllen, der Mann trägt in sich die Triebe von unten und die Gedanken von oben, und bei allen ist die Tugend nur das Ergebnis einer oft mühseligen Anstrengung. Laszive Darstellungen haben im allgemeinen größeren Einfluss als kühle Argumente. Das ist es, was ich dieser Theorie entgegenhalte, das ist meine erste Antwort. Aber ich habe noch eine zweite.
Ich behaupte, dass der Roman Madame Bovary , unter philosophischem Gesichtspunkt betrachtet, nicht moralisch ist. Gewiss stirbt Madame Bovary an Gift; sie hat sehr gelitten, das ist richtig; doch sie stirbt, weil ihr danach zumute ist, doch sie stirbt, nicht weil sie eine Ehebrecherin ist, sondern weil sie es so gewollt hat; sie stirbt im vollen Glanze ihrer Jugend und ihrer Schönheit; sie stirbt, nachdem sie zwei Liebhaber gehabt hat, einen Ehemann zurücklassend, der sie liebt, der sie anbetet, der Rodolphes Porträt finden wird, seine Briefe finden wird und die von Léon, der die Briefe einer zweifachen Ehebrecherin lesen wird und der sie danach noch mehr lieben wird, bis übers Grab hinaus. Wer kann diese Frau im Buch verurteilen? Niemand. Das ist die Schlussfolgerung. In dem Buch gibt es keine Figur, die sie verurteilen könnte. Wenn Sie darin eine vernünftige Figur finden, wenn Sie darin einen einzigen Grundsatz finden, kraft dessen der Ehebruch gebrandmarkt wird, dann habe ich unrecht. Wenn es also in dem ganzen Buch keine Figur gibt, die bewirken kann, dass sie den Kopf beugt; wenn es keinen Gedanken, keine Zeile gibt, kraft derer der Ehebruch angeprangert wird, dann habe ich recht, das Buch ist unmoralisch!
Wird das Buch vielleicht im Namen der ehelichen Ehre
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