Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
verurteilt? Aber die eheliche Ehre ist dargestellt in einem einfältigen Mann, der nach dem Tod seiner Frau Rodolphe begegnet und im Gesicht des Liebhabers die Züge der Frau, die er liebt, wiederzufinden sucht (Folge vom 15. Dezember, S. 289). Ich frage Sie, können Sie diese Frau im Namen der ehelichen Ehre brandmarken, wenn es im Buch kein einziges Wort gibt, wo der Mann sich nicht dem Ehebruch fügt.
Vielleicht im Namen der öffentlichen Meinung? Aber die öffentliche Meinung ist verkörpert in einem grotesken Menschen, im Apotheker Homais, umgeben von lächerlichen Figuren, denen diese Frau überlegen ist.
Werden Sie es im Namen religiöser Gefühle verurteilen? Aber diese Gefühle haben Sie verkörpert im Pfarrer Bournisien, einem Priester, der fast so grotesk ist wie der Apotheker, denn er glaubt nur an körperliche Leiden, nicht an seelische Leiden, fast ein Materialist.
Werden Sie es im Namen des Gewissens des Autors verurteilen? Ich weiß nicht, was ich vom Gewissen des Autors halte; aber in seinem Kapitel X, dem einzigen philosophischen in diesem Werk, Folge vom 15. Dezember, lese ich diesen Satz:
»Stets zeigt sich nach dem Tod eines Menschen etwas wie fassungsloses Staunen, so schwer ist es, das Einbrechen des Nichts zu begreifen und sich mit ihm abzufinden.«
Das ist kein Schrei der Ungläubigkeit, aber das ist zumindest ein Schrei des Skeptizismus. Sicher ist es schwer zu begreifen und sich damit abzufinden; aber warum zeigt sich dieses Staunen beim Tod? Warum? Weil dieses Einbrechen etwas ist, was ein Geheimnis ist, weil es schwer zu begreifen und zu ermessen ist, aber man muss sich darein schicken. Und ich sage, wenn der Tod das Einbrechen des Nichts ist, wenn der einfältige Ehemann seine Liebe wachsen fühlt, als er von den Ehebrüchen seiner Frau erfährt, wenn die öffentliche Meinung in grotesken Menschen dargestellt ist, wenn die religiösen Gefühle in einem lächerlichen Priester dargestellt sind, dann gibt es nur eine Person, die recht hat, herrscht, überlegen ist: Emma Bovary. Messalina bekommt recht gegen Juvenal.
Das ist die philosophische Schlussfolgerung des Buches, die nicht der Autor gezogen hat, sondern ein Mann, der nachdenkt und die Dinge vertieft, ein Mann, der im Buch nach einer Figur gesucht hat, die dieser Frau überlegen wäre. Es gibt keine. Die einzige überlegene Figur ist Madame Bovary. Man muss also anderswo als im Buch suchen, man muss in jener christlichen Moral suchen, die das Fundament der modernen Zivilisationen ist. Für diese Moral erklärt und erhellt sich alles.
In ihrem Namen wird der Ehebruch gebrandmarkt, verurteilt, nicht weil er eine Unvorsichtigkeit ist, die zu Enttäuschungen und Reue führt, sondern weil er ein Verbrechen gegen die Familie ist. Sie brandmarken und Sie verurteilen den Selbstmord, nicht weil er eine Wahnsinnstat ist, der Wahnsinnige ist nicht verantwortlich; nicht weil er eine Feigheit ist, manchmal verlangt er einen gewissen physischen Mut, sondern weil er die Verachtung der Pflicht ist im Leben, das zu Ende geht, und der Schrei der Ungläubigkeit im Leben, das beginnt.
Diese Moral brandmarkt die realistische Literatur, nicht weil sie die Leidenschaften malt: Hass, Rache, Liebe; die Welt lebt nur davon, und die Kunst muss sie malen; sondern wenn sie sie ohne Zügel malt, ohne Maß. Kunst ohne Regeln ist nicht mehr Kunst; das wäre wie eine Frau, die alle Kleider ablegt. Der Kunst als einzige Regel den öffentlichen Anstand aufzuerlegen heißt nicht, sie zu knebeln, sondern sie zu ehren. Größer wird man nur durch eine Regel. Das, meine Herren, sind die Grundsätze, zu denen wir uns bekennen, das ist eine Lehre, die wir mit gutem Gewissen verteidigen.
PLÄDOYER DES VERTEIDIGERS
RECHTSANWALT SENARD
Meine Herren, Monsieur Gustave Flaubert ist angeklagt, ein schlechtes Buch geschrieben zu haben, in diesem Buch gegen die öffentliche und religiöse Moral verstoßen zu haben. Monsieur Gustave Flaubert ist hier neben mir; er beteuert, dass er ein ehrenhaftes Buch geschrieben hat; er beteuert vor Ihnen, dass die Gedanken in seinem Buch, von der ersten bis zur letzten Zeile, moralische, religiöse Gedanken sind und dass, wenn sie nicht entstellt würden (wir haben für ein paar Augenblicke gesehen, was ein großes Talent vermag, um Gedanken zu entstellen), seine Gedanken für Sie das wären (und es in Kürze auch wieder sein werden), was sie bereits für die Leser des Buches waren, zutiefst moralische und religiöse Gedanken, die sich
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