Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
weniger zaghaft als Sie. Was mich persönlich angeht, ich verstehe sehr gut, dass ein Familienvater seiner Tochter sagt: »Junge Frau, wenn dein Herz, wenn dein Gewissen, wenn das religiöse Gefühl, wenn die Stimme der Pflicht nicht ausreichen sollten, dass du den geraden Weg gehst, schau, mein Kind, schau, wieviel Verdruss, Leid, Schmerz und Verzweiflung die Frau erwarten, die anderswo als zu Hause nach dem Glück sucht!« Diese Sprache würde Sie aus dem Mund eines Vaters nicht verletzen, nun! Monsieur Flaubert sagt nichts anderes; es ist das wahrhaftigste, das erschütterndste Gemälde dessen, was die Frau, die von einem Glück außerhalb ihres Hauses geträumt hat, auf der Stelle findet.
Aber gehen wir weiter, wir kommen zu allen Abenteuern der Enttäuschung. Sie halten mir Léons Zärtlichkeiten auf Seite 60 entgegen. Leider Gottes wird sie den Preis für den Ehebruch bald bezahlen! Und diesen Preis werden Sie, auf schreckliche Weise, ein paar Seiten weiter in dem Werk finden, das Sie inkriminieren. Sie hat das Glück im Ehebruch gesucht, die Unglückliche! Und gefunden hat sie, außer Ekel und Überdruss, die einer Frau, welche nicht den Weg der Pflicht geht, aus der Monotonie der Ehe erwachsen, und gefunden hat sie Enttäuschung, die Verachtung des Mannes, dem sie sich ausgeliefert hatte. Fehlt dieser Verachtung etwas? Oh nein! und Sie werden es nicht bestreiten, das Buch liegt vor Ihren Augen: Rodolphe, der sich als so schändlich erwiesen hat, gibt ihr einen letzten Beweis von Egoismus und Feigheit. Sie sagt zu ihm: »›Bring mich fort! Entführe mich! Ich ersticke, ich kann nicht mehr atmen im Haus meines Mannes, dessen Schande und Unglück ich bin.‹« Er zögert; sie drängt, schließlich verspricht er es, und am nächsten Tag erhält sie von ihm einen vernichtenden Brief, unter dem sie zusammenbricht, niedergeschmettert, zerstört. Sie wird krank, sie liegt im Sterben. Die nächste Folge zeigt sie Ihnen in all den Zuckungen einer Seele, die ringt, die vielleicht zurückgeführt wird zur Pflicht durch ihr maßloses Leiden, doch unglücklicherweise begegnet sie bald dem Kind, mit dem sie gespielt hatte, als sie noch unerfahren war. So ist das Räderwerk des Romans, und dann kommt die Sühne.
Aber der Herr Staatsanwalt unterbricht mich und sagt: »Falls es wahr sein sollte, dass der Zweck des Werkes von Anfang bis Ende ein guter ist, durften Sie sich dann so obszöne Details erlauben, wie Sie sich erlaubt haben?«
Ganz gewiss durfte ich mir solche Details nicht erlauben, aber habe ich sie mir erlaubt? Wo sind sie? Ich komme hier zu den am heftigsten inkriminierten Stellen. Ich spreche nicht mehr vom Fiakerabenteuer, das Gericht hat diesbezüglich Genugtuung erhalten; ich komme zu den Stellen, welche Sie als im Widerspruch zur öffentlichen Moral bezeichnet haben und die eine gewisse Anzahl von Seiten in der Nummer vom 1. Dezember bilden; und um das ganze Gerüst Ihrer Anklage zum Verschwinden zu bringen, muss ich nur eines tun: das wieder einfügen, was Ihren Zitaten vorausgeht und was ihnen folgt, mit einem Wort, Ihre Ausschnitte durch den vollständigen Text ersetzen.
Auf Seite 72 unten kommt Léon, nachdem er mit dem Apotheker Homais zusammen war, ins Hôtel de Bourgogne; und dann kommt der Apotheker ihn holen.
»Doch Emma hatte sich eben aufgemacht, voll Erbitterung; diesen Wortbruch beim Rendezvous empfand sie als Schmach.
Dann beruhigte sie sich und erkannte, dass sie ihn wohl zu Unrecht geschmäht hatte. Das Schlechtmachen eines Menschen, den wir immer noch lieben, löst uns freilich von ihm. Man soll Götzen nicht anfassen: das Gold bleibt an den Fingern kleben.
Sie sprachen nun öfter von Dingen, die nichts zu tun hatten mit ihrer Liebe …«
Mein Gott! Wegen der Zeilen, die ich Ihnen gerade vorgelesen habe, stehen wir hier vor Ihnen. Hören Sie jetzt:
»Sie sprachen nun öfter von Dingen, die nichts zu tun hatten mit ihrer Liebe; und in den Briefen, die Emma ihm schickte, war die Rede von Blumen, Versen, Mond und Sternen, naive Hilfsmittel einer erlahmten Leidenschaft, die sich mit äußeren Reizen anfachen will. In einem fort erwartete sie von der nächsten Reise tiefe Glückseligkeit; dann musste sie sich eingestehen, dass sie nichts Besonderes fühlte. Diese Enttäuschung verblasste rasch vor einer neuen Hoffnung, und Emma fuhr wieder zu ihm, noch feuriger, noch atemloser, noch gieriger. Sie riss sich die Kleider vom Leib, fetzte das dünne Schnürband aus ihrem Mieder, das an den
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