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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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Hüften zischte wie eine schlängelnde Natter. Auf nackten Zehen ging sie noch einmal zur Tür und prüfte, ob der Schlüssel umgedreht war, dann warf sie mit einem Ruck alle Hüllen zu Boden; – und bleich, wortlos, ernst, sank sie an seine Brust, durchrieselt von Schauder.«
    Hier haben Sie abgebrochen, Herr Staatsanwalt, gestatten Sie, dass ich weiterlese:
    »Und dennoch war auf dieser mit kalten Tropfen bedeckten Stirn, auf diesen stammelnden Lippen, in diesen verstörten Augen, in der Umschlingung dieser Arme etwas Radikales, Irres, Trostloses, und Léon hatte das Gefühl, es dränge sich unmerklich zwischen sie, als etwas Trennendes.«
    So etwas nennen Sie laszive Farbe; Sie sagen, so etwas könnte zum Ehebruch verleiten; Sie sagen, das sind Seiten, welche die Sinne aufwühlen, erregen – laszive Seiten! Nein, der Tod steckt in diesen Seiten! Das ist doch nicht Ihr Ernst, Herr Staatsanwalt, Sie erschrecken, weil Sie hier Worte finden wie Mieder und Hüllen, die zu Boden fallen ; und Sie klammern sich fest an diesen drei, vier Worten wie Mieder und Hüllen, die zu Boden fallen! Soll ich Ihnen zeigen, wie ein Mieder in einem klassischen, einem sehr klassischen Buch erscheinen kann? Das will ich anschließend mit großem Vergnügen tun.
    »Sie riss sich … (ach! Herr Staatsanwalt, wie falsch haben Sie diese Stelle verstanden!) sie riss sich die Kleider vom Leib (die Unglückliche), fetzte das dünne Schnürband aus ihrem Mieder, das an den Hüften zischte wie eine schlängelnde Natter: und bleich, wortlos, ernst, sank sie an seine Brust, durchrieselt von Schauder … in der Umschlingung dieser Arme etwas Irres, Trostloses …«
    Hier muss man sich fragen, wo die laszive Farbe ist? und wo die strenge Farbe ist? und ob die Sinne eines jungen Mädchens, in dessen Hände dieses Buch fällt, aufgewühlt, erregt werden können – wie bei der Lektüre eines Klassikers unter allen Klassikern, den ich anschließend zitieren werde und der tausendmal nachgedruckt worden ist, ohne dass jemals ein kaiserlicher oder königlicher Staatsanwalt daran gedacht hätte, es zu verfolgen. Gibt es etwas Vergleichbares in dem, was ich Ihnen soeben vorgelesen habe? Ist das nicht im Gegenteil eine Verführung zum Abscheu vor dem Ehebruch, dieses »Trostlose, das sich zwischen sie drängt, als etwas Trennendes«. Weiter, wenn ich bitten darf.
    »Er wagte nicht, ihr Fragen zu stellen; doch angesichts ihrer Erfahrenheit dachte er, sie habe wohl alle Prüfungen des Leids und der Lust schon erlebt. Was ihn früher bezauberte, schreckte ihn jetzt ein wenig. Überdies empörte ihn, dass sie jeden Tag stärker Besitz ergriff von seiner Person. Er missgönnte Emma diesen ständigen Sieg. Er wollte sich sogar zwingen, weniger an ihr zu hängen; dann aber, beim Knarren ihrer Stiefelchen, fühlte er sich feige, wie Säufer beim Anblick von hartem Schnaps.«
    Ist das lasziv?
    Und dann, hören Sie den letzten Absatz:
    »Eines Tages, als sie früh voneinander Abschied genommen hatten und sie allein über den Boulevard zurückging, erkannte sie die Mauern ihres Klosters; sie setzte sich auf eine Bank, im Schatten der Ulmen. Welche Ruhe in jener Zeit! wie lechzte sie nach den unsagbaren Liebesgefühlen, die sie sich ausmalte anhand von Büchern!
    Die ersten Monate ihrer Ehe, ihre Ausritte in den Wald, der walzertanzende Vicomte und der singende Lagardy, alles zog an ihren Augen vorüber.«
    Vergessen Sie das nicht, Herr Staatsanwalt, wenn Sie über die Gedanken des Autors urteilen wollen, wenn Sie unbedingt laszive Farbe dort finden wollen, wo ich nur ein ausgezeichnetes Buch finden kann.
    »Und Léon schien ihr plötzlich genauso fern wie die anderen. ›Aber ich liebe ihn doch!‹ sagte sie sich; sie war nicht glücklich, war es nie gewesen. Woher kam bloß diese Unzulänglichkeit des Lebens, dies jähe Vermodern von Dingen, an denen sie Halt suchte?«
    Ist das lasziv?
    »Doch wenn es irgendwo einen starken und schönen Menschen gab, einen kühnen Charakter, voller Überschwang und zugleich von feiner Lebensart, das Herz eines Dichters in Engelsgestalt, Lyra mit ehernen Saiten, elegische Epithalamien gen Himmel sendend, warum sollte sie ihn dann nicht finden? Oh! wie unmöglich! nichts lohnte wirklich die Mühe des Suchens; überall Lüge! Hinter jedem Lächeln steckte gelangweiltes Gähnen, hinter jeder Freude ein Fluch, hinter jedem Vergnügen der Ekel, und die besten Küsse hinterließen auf den Lippen nur unerfüllbare Gier nach noch größerer

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