Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Lippen, wie zu etwas Außergewöhnlichem und Erlauchtem. Er hatte am Hof gelebt und geschlafen im Bett von Königinnen!
Eisiger Champagner wurde eingeschenkt. Emma lief ein Schauer über die ganze Haut, als sie die Kälte im Mund spürte. Sie hatte noch nie Granatäpfel gesehen, noch nie Ananas gegessen.«
Sie sehen, dass diese Beschreibungen hinreißend sind, ganz offensichtlich, aber dass es unmöglich ist, hier und dort eine Zeile herauszufischen, um eine Art Farbe zu schaffen, gegen die mein Gewissen sich empört. Das ist keine laszive Farbe, das ist die Farbe des Buchs; das ist das literarische Element und zugleich das moralische Element.
Da ist es nun, dieses junge Mädchen, dessen Erziehung abgeschlossen ist, nun ist es zur Frau geworden. Der Herr Staatsanwalt hat gesagt: Versucht sie wenigstens ihren Mann zu lieben? Sie haben das Buch nicht gelesen; hätten Sie es gelesen, dann hätten Sie diesen Einwand nicht erhoben.
Da ist sie nun, meine Herren, diese arme Frau, zunächst wird sie noch vor sich hin träumen. Auf Seite 34 werden Sie ihre Träumereien sehen. Und da ist noch etwas, es gibt etwas, wovon der Herr Staatsanwalt nicht gesprochen hat, und das ich Ihnen sagen muss, es sind ihre Eindrücke, als ihre Mutter starb; Sie werden ja sehen, ob das lasziv ist! Seien Sie bitte so freundlich, Seite 33 aufzuschlagen und mitzulesen:
»Als ihre Mutter starb, weinte sie in den ersten Tagen viel. Sie ließ sich ein Trauerbild machen mit dem Haar der Verewigten, und in einem Brief, den sie nach Les Bertaux schickte, voll schwermütiger Gedanken über das Leben, bat sie, später einmal im gleichen Grabe zu liegen. Der gute Mann hielt sie für krank und kam zu Besuch. Emma war in ihrem Inneren zufrieden, denn sie meinte, sie habe es auf Anhieb zu jenem seltenen Ideal bleicher Existenzen gebracht, das mittelmäßige Herzen nie erreichen. Sie ließ sich also fortschwemmen von Lamartineschen Mäandern, lauschte den Harfen auf den Seen, allen Gesängen sterbender Schwäne, allen herabfallenden Blättern, den reinen Jungfrauen, die gen Himmel fahren, und der Stimme des Ewigen, die erschallet in den Tälern. Sie verspürte Langeweile, wollte es nicht zugeben, machte aus Gewohnheit weiter, dann aus Eitelkeit, und stellte am Ende überrascht fest, dass ihr Schmerz gelindert war und nicht mehr Schwermut in ihrem Herzen als Falten auf der Stirn.«
Ich möchte auf die Vorwürfe des Herrn Staatsanwalts antworten, sie bemühe sich kein bisschen, ihren Mann zu lieben.
DER HERR STAATSANWALT : Das habe ich ihr nicht vorgeworfen; ich habe gesagt, es sei ihr nicht gelungen.
RECHTSANWALT SENARD : Wenn ich falsch verstanden habe, wenn Sie diesen Vorwurf nicht erhoben haben, so ist das die bestmögliche Antwort. Ich glaubte, ihn gehört zu haben; nehmen wir an, ich hätte mich getäuscht. Im übrigen lese ich folgendes am Ende von Seite 36:
»Trotzdem versuchte sie, mit Hilfe für gut befundener Theorien, Liebe in sich zu wecken. Bei Mondschein rezitierte sie im Garten alles, was sie an leidenschaftlichen Reimen auswendig konnte, und sang ihm schmachtend melancholische Adagios; doch hinterher war sie genauso gleichmütig wie zuvor, und Charles wirkte nicht verliebter und nicht aufgewühlter.
Nachdem sie sich auf diese Weise geplagt hatte, aus ihrem Herzen ein bisschen Feuer zu schlagen, ohne dass ein Funke gesprüht wäre, unfähig, etwas zu begreifen, was sie nicht fühlte, oder an etwas zu glauben, was nicht in der üblichen Gestalt zutage trat, gelangte sie mühelos zu der Überzeugung, Charles’ Leidenschaft sei nicht mehr übermäßig groß. Seine Gefühle regten sich nun pünktlich; er umarmte sie zu festen Zeiten. Es war eine Gewohnheit unter anderen, so etwas wie ein im voraus eingeplantes Dessert nach der Monotonie des Abendessens.«
Auf Seite 37 finden wir noch eine Menge ähnlicher Dinge. Nun wird langsam die Gefahr beginnen. Sie wissen, wie sie erzogen wurde; ich bitte Sie, das keinen Augenblick zu vergessen.
Es gibt niemanden, der ihn gelesen hat und der nicht, mit dem Buch in der Hand, sagt, dass Monsieur Flaubert nicht nur ein großer Künstler ist, sondern auch ein Mann von Herz, weil er auf den letzten zehn Seiten allen Abscheu und alle Verachtung über die Frau ergossen hat, und alle Anteilnahme über den Ehemann. Er ist außerdem ein großer Künstler, wie vielfach gesagt wurde, weil er den Mann nicht verändert hat, weil er ihn bis zum Schluss so gelassen hat, wie er war, ein guter Mann, einfach,
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