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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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konnte, und sang ihm schmachtend melancholische Adagios; doch hinterher war sie genauso gleichmütig wie zuvor, und Charles wirkte nicht verliebter und nicht aufgewühlter.
    Nachdem sie sich auf diese Weise geplagt hatte, aus ihrem Herzen ein bisschen Feuer zu schlagen, ohne dass ein Funke gesprüht wäre, unfähig, etwas zu begreifen, was sie nicht fühlte, oder an etwas zu glauben, was nicht in der üblichen Gestalt zutage trat, gelangte sie mühelos zu der Überzeugung, Charles’ Leidenschaft sei nicht mehr übermäßig groß. Seine Gefühle regten sich nun pünktlich; er umarmte sie zu festen Zeiten. Es war eine Gewohnheit unter anderen, so etwas wie ein im voraus eingeplantes Dessert nach der Monotonie des Abendessens.
    Ein Jagdaufseher, den Monsieur von einer Lungenentzündung geheilt hatte, schenkte Madame ein kleines Italienisches Windspiel; sie nahm es mit auf ihre Ausflüge, denn manchmal ging sie spazieren, um für eine Weile allein zu sein und den ewig gleichen Garten nicht mehr vor Augen zu haben mitsamt der staubigen Straße.
    Sie schlenderte bis zum Buchenhain von Banneville, unweit des verlassenen Häuschens, das an der Mauerecke steht, bei den Feldern. Im Wolfsgraben, zwischen dem Unkraut, wächst langes Schilfrohr mit scharfkantigen Blättern.
    Als erstes blickte sie umher, weil sie sehen wollte, ob seit ihrem letzten Besuch alles beim alten war. Sie fand an den gleichen Stellen Fingerhut und Goldlack, Brennnesselbüsche rings um die großen Steine und auch die Flechten längs der drei Fenster, deren stets geschlossene Läden sich zwischen verrosteten Eisenstäben in Fäulnis auflösten. Ihr anfangs zielloses Sinnieren streifte kreuz und quer, genau wie ihr Windspiel, das auf den Äckern seine Runden drehte, die gelben Falter anblaffte, Spitzmäuse jagte oder nach dem Klatschmohn am Rand eines Kornfelds schnappte. Dann sammelten sich allmählich ihre Gedanken, und im Grase sitzend, wo sie mit der Spitze des Sonnenschirms gereizt herumstocherte, sagte Emma wieder und wieder:
    »Mein Gott! Warum habe ich geheiratet?«
    Sie fragte sich, ob es nicht möglich gewesen wäre, durch andere Wege des Zufalls einem anderen Mann zu begegnen; und sie versuchte sich diese nicht eingetretenen Ereignisse auszumalen, dieses fremde Leben, diesen Ehemann, den sie nicht kannte. Schließlich waren nicht alle so wie der da. Er hätte schön sein können, geistreich, vornehm, anziehend, wie zweifellos jene anderen, mit denen ihre ehemaligen Kameradinnen aus dem Kloster vermählt waren. Was machten sie jetzt? In der Stadt, mit dem Gesumm auf den Straßen, dem Stimmengewirr im Theater und dem Lichterglanz der Bälle, führten sie ein Leben, in dem das Herz aufgeht, die Sinne erblühen. Sie jedoch, ihr Dasein war kalt wie ein Dachboden, dessen Fensterchen nach Norden zeigt, und die Langeweile, diese lautlose Spinne, wob ihr Netz im Finstern über jeden Winkel ihres Herzens. Sie dachte zurück an die Tage der Preisverteilung, wenn sie das Podium erklomm, um ihre kleinen Kränze entgegenzunehmen. Mit ihrem geflochtenen Haar, dem weißen Kleid und den Riemchenschuhen aus Prunelle war sie allerliebst anzusehen, und wenn sie zurücklief an ihren Platz, beugten sich die Herren vor und machten ihr Komplimente; der Hof stand voller Kaleschen, durch den Wagenschlag sagte man ihr Lebewohl, der Musiklehrer kam grüßend vorüber, mit seinem Geigenkasten. Wie weit lag das alles zurück! wie weit!
    Sie rief Djali, nahm das Tier zwischen die Knie, fuhr mit den Fingern über seinen langen, schmalen Kopf und sagte:
    »Los, küss deine Dame, du hast ja keinen Kummer.«
    Während sie die melancholische Miene des schlanken Wesens betrachtete, das langsam gähnte, wurde sie von Rührung ergriffen und verglich es mit sich selbst, sprach laut, wie zu jemandem, der bedrückt ist und den man tröstet.
    Manchmal kamen Windstöße, Brisen vom Meer, fegten mit einem Satz über die ganze Hochfläche des Pays de Caux und trugen bis weit in die Felder ihre salzige Frische. Die Binsen pfiffen dicht über dem Erdboden, und die Blätter der Buchen rauschten unter flüchtigem Zittern, während die Wipfel sich wiegten in ihrem steten, erhabenen Gemurmel. Emma zog ihren Shawl fester um die Schultern und stand auf.
    In der Allee schien grünes, vom Laubdach gedämpftes Licht auf das niedrige Moos, das unter ihren Füßen leise knisterte. Die Sonne ging unter; der Himmel war rot zwischen den Ästen, und die ebenmäßigen Stämme der in gerader Linie gepflanzten

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