Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
dem Verhältnis zwischen der Figur Emma Bovary und ihrem Schöpfer Gustave Flaubert auf den Grund: »Um seinen Geniestreich zu vollenden, blieb dem Verfasser nur noch eines zu tun: sich (so weit wie möglich) seines Geschlechts zu entäußern und sich zur Frau zu machen. Dabei ist ihm ein wahres Wunder gelungen; denn ungeachtet all seines komödiantischen Eifers konnte er doch nicht umhin, den Adern seines Geschöpfes ein männliches Blut einzuflößen, und so ist Madame Bovary, durch das, was ihr an Kraft, an Ehrgeiz und an der Fähigkeit zum Traum in so hohem Maße zu eigen ist, dennoch ein Mann geblieben.«
Außerdem wendet sich Baudelaire, freilich ohne den Namen des Kritikers zu erwähnen, gegen Sainte-Beuves Forderung nach positiven Identifikationsfiguren, nach Trost für den Leser und unmissverständlicher Absage an das Schlechte; mit Baudelaires Rezension beginnt so der eigentliche »Fall Sainte-Beuve«. Für Baudelaire zählt, wie für Flaubert selbst, nur die (großgeschriebene) »schönheit« des Werkes und seine innere Logik, darum kann er auch abschließend über die literarische Gestalt der Emma Bovary sagen: »Kurzum, diese Frau ist wirklich groß, sie ist vor allem bemitleidenswürdig, und trotz der systematischen Härte des Verfassers, der sich alle Mühe gegeben hat, von seinem Werk abwesend zu sein und sich in der Rolle eines Marionettenspielers zu zeigen, werden alle intellektuellen Frauen ihm Dank wissen, das Weibchen so hoch hinaufgehoben zu haben, so weit entfernt von dem bloßen Tier und so nahe dem idealen Mann, und ihm etwas von jenem doppelten Charakter des Kalküls und der Träumerei mitgeteilt zu haben, welcher das vollkommene Wesen ausmacht.« Mit Charles Baudelaires Hommage ist der erste Schritt gemacht zur Kanonisierung von Madame Bovary als dem Schlüsselroman der Moderne.
Zum Schluss sei noch ein Blick geworfen auf eine »intellektuelle Frau« ganz besonderer Art, die sich bereits lange vorher, am 18. Dezember 1856, kurz nach der letzten Folge von Madame Bovary in der Revue de Paris , brieflich an Flaubert gewandt hatte. Mademoiselle Leroyer de Chantepie, geboren 1800 in dem Unterpräfekturstädtchen Château-Gontier (Departement Mayenne), veröffentlichte Romane wie Cécile oder Angélique Lagier , die sie später auch Flaubert schickte, sowie diverse Artikel in der Regionalzeitung Le Phare de la Loire – am 25. Juni 1857 z. B. eine Besprechung der Madame Bovary – und schließlich ihre Souvenirs et impressions littéraires , in denen sie George Sand und Gustave Flaubert je ein Kapitel widmete. Sie verbrachte ihr ganzes Leben in Angers (Maine-et-Loire) und starb neun Jahre nach Flaubert. Ihr erster Brief war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, einer Brieffreundschaft wohlgemerkt, denn gesehen haben sich die beiden nie. Geschrieben haben sie einander zwanzig Jahre lang. Die frühen Briefe geben auf hinreißende Weise Aufschluss darüber, was eine Frau in der französischen Provinz aus Emma Bovary herauslesen konnte und was der Romancier zuweilen richtigstellen wollte.
»Als Abonnentin und eifrige Leserin der Revue de Paris lese ich seit der ersten Folge Ihr durch seine Wahrheit so packendes Drama Madame Bovary . Zunächst habe ich gesehen, dass Sie ein Meisterwerk an Natürlichkeit und Wahrheit geschrieben haben. Ja, genau so sind die Sitten in dieser Provinz, wo ich geboren bin, wo ich mein Leben verbracht habe. Damit sage ich Ihnen, Monsieur, wie sehr ich die Traurigkeit, die Langeweile, das Elend dieser armen Frau Bovary verstanden habe. Von Anfang an habe ich sie erkannt, geliebt, wie eine Freundin, die ich gekannt hätte. Ich habe mich so sehr mit ihrer Existenz identifiziert, dass mir schien, sie war es und ich war es! Nein, diese Geschichte ist keine Fiktion, sie ist eine Wahrheit, diese Frau hat existiert, Sie haben ganz gewiss ihrem Leben beigewohnt, ihrem Tod, ihren Qualen. […] Ach! Monsieur, wo haben Sie diese vollkommene Kenntnis der menschlichen Natur bloß hergenommen, das ist ein ans Herz, an die Seele angesetztes Skalpell, das ist leider Gottes! die Welt in all ihrer Abscheulichkeit. Die Charaktere sind wahr, allzu wahr, denn keiner von ihnen erhöht die Seele, nichts tröstet einen in diesem Drama, das nur eine unendliche Verzweiflung hinterlässt, aber auch eine ernsthafte Warnung. Das ist die Moral, die daraus hervorgeht: die Frauen sollen bei ihren Pflichten bleiben, was immer es sie auch kostet. Dabei ist es so natürlich, glücklich sein zu
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