Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
verteidigt ihn zwar gegen den Vorwurf der Unmoral – der Autor sei nicht unmoralisch, sondern bloß unempfindlich –, tadelt aber umso schärfer seine »entsetzliche Gefühllosigkeit«: So wie Emma keine Gefühle habe für ihr Kind, so habe Flaubert keine für seine Figuren. Nach einem detaillierten Resümee der Handlung geht der Kritiker noch auf den Stil des Romans ein: »Was den Stil betrifft, durch den man zum Maler wird, durch den man im Gedächtnis der Menschen lebt, so stammt der von Madame Bovary von einem literarischen Künstler, der seine ganz eigene Sprache hat, eine farbige, glänzende, funkelnde, die von beinah wissenschaftlicher Genauigkeit ist. Wir haben bereits gesagt, dass Monsieur Flaubert eine Feder aus Stein besitzt. Dieser Stein ist häufig ein Diamant; freilich ist ein Diamant, trotz seines Feuers, hart und eintönig, wenn es um die spirituellen Nuancen des Schriftstellers geht. Monsieur Flaubert hat keine Spiritualität. Er muss wohl ein doktrinärer Materialist sein, wie er auch ein stilistischer ist, denn eine solche Natur kann nicht inkonsequent sein. Sie ist aus einem Guss wie ein venezianischer Spiegel. Was Monsieur Flaubert an einer Stelle ist, das ist er überall. Sein Stil hat, wie seine Beobachtungsgabe, ein überaus erstaunliches Gespür für das Detail, noch dazu für das winzige, kaum wahrnehmbare Detail, das jeder andere übersieht, er jedoch durch einen besonderen mikroskopischen Aufbau seines Auges wahrnimmt. Dieser Mann, der wie ein Luchs in der verdunkelten Seele seiner Madame Bovary sieht und für uns die Flecken zählt, welche diesen schönen gefallenen Pfirsich mit seinem verlogenen Samtglanz hier bläulich und dort schwarz färben, ist ein stilistischer Entomologe, der genausogut Elefanten oder Insekten beschreiben würde. Er malt Bilder in Lebensgröße, in Punkt-Manier , auf denen nichts verschmilzt und alles scharf hervorsticht. Gewiss, um so zu malen, braucht man eine sichere Hand, doch Weite ist mehr wert als Feinheit. So viele hauchzarte Beobachtungen ergeben am Ende nur Fünkchen ! Das Licht beginnt zu flimmern auf all den unnötigen Äderungen, auf all den Linien, wahrnehmbar und kontrastreich gemacht durch das allzu ausgeprägte Relief der Zeichnung, so wie es auch flimmert, wenn es sich an den Kanten der Edelsteine bricht, und uns blendet. Solche Detailbesessenheit zerstört die vom Schriftsteller beabsichtigte Wirkung. Monsieur Flaubert sollte auf der Hut sein! Er hat vielleicht eine strahlende Zukunft, doch sein heutiger Erfolg zwingt die Kritik zu größerer Strenge bei der Wahrheit. Ein großes Talent, das sich über kleine Dinge neigt und sich darin verlieren kann und darin ertrinken, als wäre es klein!« Alle weiteren Bücher Flauberts wird Barbey d’Aurevilly mit zunehmender Heftigkeit verreißen.
Der Höhepunkt der Kritik jedoch wird Charles Baudelaires Rezension sein (siehe unten, S. 660–671), die am 18. Oktober 1857 in L’Artiste erscheint, und sie ist ein wirklicher Höhepunkt in der Literaturkritik des neunzehnten Jahrhunderts. Hier schreibt der bedeutendste Lyriker der Zeit über den bedeutendsten Romancier. Flaubert ist denn auch zutiefst glücklich über Baudelaires Besprechung. »Ich danke Ihnen sehr, mein lieber Freund«, schreibt er ihm drei Tage später. »Ihr Artikel hat mir die allergrößte Freude bereitet. Sie sind in die Geheimnisse des Werkes eingedrungen, als wäre mein Gehirn das Ihre.« Im Juli hatte Flaubert die Blumen des Bösen gelesen und dem Dichter emphatisch seine Eindrücke mitgeteilt: »Ich liebe Ihren herben Ton mit den sprachlichen Feinheiten, die ihn zur Geltung bringen gleich Damaszierungen auf einer zarten Klinge.« Die Verwandtschaft der beiden gleichaltrigen Schriftsteller ist offensichtlich: »Was mir an Ihrem Buch vor allem gefällt, ist, dass die Kunst darin vorherrscht. Und außerdem besingen Sie das Fleisch, ohne es zu lieben, auf eine traurige und gleichgültige Weise, die mir sympathisch ist« (13. Juli 1857). Und wenig später, im August, versichert er Baudelaire seiner Freundschaft und Unterstützung, gibt ihm Ratschläge für den bevorstehenden Prozess gegen die Blumen des Bösen .
Baudelaire greift in seiner Besprechung von Madame Bovary den Vorwurf der Unempfindlichkeit und Gefühllosigkeit auf, der Flaubert in so vielen Artikeln gemacht worden war, er weist das Etikett Realismus (das auch seinen Gedichten im Urteilsspruch aufgeklebt worden war) als »abscheuliche Beleidigung« zurück und geht
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