Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
bekannten Literaturprofessor und Flaubert-Verehrer Formulierungen aus Madame Bovary als Stilübungen eines jungen Autors vorgelegt; der Ordinarius habe dem vermeintlichen Anfänger dringend die Lektüre einer Grammatik empfohlen, dann aber, über dessen wahre Identität aufgeklärt, beleidigt geschwiegen. De Robert nimmt die witzige Anekdote zum Beweis, dass Flaubert tatsächlich der französischen Grammatik nicht mächtig gewesen sei und dass der Heros des modernen Romans ganz einfach »schlecht schrieb«. Die Belege für seine Behauptung sind naturgemäß dürftig, und sie sind auch überhaupt nur nachzuvollziehen im Kontext der französischen Sprache und Literatur, die viel stärker als jemals die deutsche einem unumstößlichen Regelwerk der »Reinheit« verpflichtet war und ist, das »gutes« von »schlechtem« Schreiben unterscheidet. Was de Robert moniert, sind z. B. unübliche Präpositionen, Verben, die Flaubert gegen die Regel reflexiv gebrauchte, Pleonasmen, unzulässige Wortverbindungen, aber auch das falsche Geschlecht der dinde (Pute), die Flaubert als le dinde , also im Maskulinum präsentierte.
Die sich anschließende Diskussion bewegt sich zunächst in den abgesteckten Grenzen. Die Verteidiger weisen de Robert darauf hin, dass er Flauberts normannische Regionalismen nicht erkenne, dass er die gesprochene Rede der Figuren, etwa der Gastwirtin Madame Lefrançois oder des alten Rouault, an den Lehrbüchern der Grammatik messe, und so weiter. Die Kritiker replizieren, dass eine falsche Präposition eine falsche Präposition bleibe, auch bei Monsieur Flaubert. All das ist nur insoweit von Belang, als es zeigt, wie stark die Stileigenschaften Flauberts selbst zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts noch verstören konnten. Tatsächlich interessant wird die Debatte jedoch erst durch den Beitrag »Réflexions sur la littérature. Sur le style de Flaubert« von Albert Thibaudet in der Nouvelle Revue française vom November 1919. Thibaudet verteidigt einerseits Flaubert gegen die schulmeisterliche Kritik und verweist darauf, dass die bloße Grammatik keineswegs das Kriterium für große Literatur sein könne; er zitiert Du Camp, der Flauberts eigene Meinung dazu so wiedergegeben hatte: »Er behauptete, er hat immer behauptet, dass der Schriftsteller frei ist, den Anforderungen seines Stils entsprechend, die Vorschriften der Grammatik, welche die französische Sprache bestimmen, anzunehmen oder zurückzuweisen. […] Er sagte, Stil und Grammatik seien verschiedene Dinge, er zitierte die größten Schriftsteller, die fast alle unkorrekt waren, und wies darauf hin, dass kein Grammatiker je zu schreiben verstand.«
Zum anderen aber fragt sich Thibaudet kritisch, ob die unendliche Zeit und Mühe, die Flaubert in die Niederschrift seines Romans gesteckt hatte, tatsächlich in jeder Hinsicht zu positiven Ergebnissen geführt habe; im Gegenteil, fügt er hinzu, die Mühe des Autors sei oft allzu sichtbar. Und hier wählt er jene unglückliche Formulierung, welche die Debatte erst recht anfachte: »Flaubert ist kein großer Schriftsteller von Geblüt, und die volle Beherrschung der Sprache war ihm nicht von seiner Natur aus gegeben.«
Marcel Proust antwortet darauf in der Nouvelle Revue française vom Januar 1920 mit seinem berühmt gewordenen Essay »Über den ›Stil‹ von Flaubert«, der aber auch durchaus zweideutiger Natur ist. Zwar hat Proust einiges an der Metaphorik von Flaubert auszusetzen, doch dass dieser kein »Schriftsteller von Geblüt« sein solle, empört ihn zutiefst. Und um seine Qualitäten und Verdienste zu zeigen, beginnt er mit jener Aufzählung von Flauberts »grammatischen Neuerungen«, die, muss man sagen, seither allzu unbefragt übernommen worden ist. Proust nämlich sieht in Flaubert vor allem einen grammatischen Neuerer: er habe den Gebrauch der Vergangenheitsformen, der Adverbien, des Partizip Präsens, der Konjunktionen und der Präpositionen revolutioniert und damit »unsere Sicht der Dinge beinahe ebensosehr erneuert wie Kant«. Diese Meinung ist wegen der Autorität des Namens Proust zu späteren Zeiten als fast unantastbare Wahrheit immer wiederholt worden, aber ist es wirklich so selbstverständlich, dass die größten Verdienste dieses faszinierenden Romans von Liebe und Verrat ausgerechnet in einer grammatischen Revolution liegen sollten?
Zu Prousts Zeiten ist diese Meinung denn auch ganz und gar nicht unwidersprochen geblieben, und es ist wiederum Albert Thibaudet, der am 1.
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