Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
wollen!«
Als Marie-Sophie Leroyer de Chantepie am 26. Februar 1857 schreibt: »Ich bitte den Himmel für sie [Emma] um die Gerechtigkeit, die man ihr auf Erden verweigert. Ich muss an das Glück dieser armen Seele in einer besseren Welt glauben. […] Ich habe sie geliebt wie eine Schwester, wie gern hätte ich mich zwischen sie und ihr Unglück geworfen, sie beraten, sie getröstet, sie gerettet! Niemals werde ich sie vergessen! Ich bin fest überzeugt, dass diese Geschichte wahr ist! Ja, man muss Beteiligter oder betroffener Zeuge eines solchen Dramas gewesen sein, um mit solcher Wahrheit davon zu schreiben!«, da antwortet ihr Flaubert am 18. März 1857: » Madame Bovary enthält nichts Wahres. Es ist eine vollkommen erfundene Geschichte; ich habe weder von meinen Gefühlen noch von meinem Leben irgendetwas hineingelegt. Die Illusion (wenn es eine gibt) kommt im Gegenteil aus der Unpersönlichkeit des Werkes. Einer von meinen Grundsätzen lautet, dass man nicht über sich selbst schreiben darf. Der Künstler muss in seinem Werk sein wie Gott in der Schöpfung, unsichtbar und allmächtig; man soll ihn überall spüren, aber nirgendwo sehen.«
Dass eine Marie-Sophie Leroyer de Chantepie mit ihrer Suche nach der Realität ebenso zu den Bewunderern der Madame Bovary zählen konnte wie ein Charles Baudelaire mit der seinen nach nichts als der schönheit, auch dies beweist die große Kraft des Romans: alle konnten Madame Bovary lesen und ihr Teil darin finden.
Konnte Flaubert schreiben?
Coda: Madame Bovary und die Nachwelt
Es ist nicht empörend, sondern der Normalfall, dass die Tageskritik den geschichtlichen Wert eines Buches verkennt, und nicht anders ist es Flaubert ergangen; Sainte-Beuve ist dafür das schlagende Beispiel. Doch muss man einräumen, dass Flaubert von Anfang an auch das Echo gehabt hat, das seinen Roman auf den ihm zukommenden Platz stellte; Baudelaires epochale Rezension hat hier den Anfang gemacht, und von diesem Augenblick an sind die Stimmen nicht verstummt, die in Madame Bovary das gesehen haben, was Zola 1895 festhielt, »das definitive Modell des Genres«. Doch zeigen die Namen auch, von wem die unterschiedlichen Wertungen jeweils ausgingen. Sainte-Beuve war der arrivierte Großkritiker und Mann des common sense ; Baudelaire und Zola, die Fürsprecher, waren nicht nur selber Künstler, sondern auch militante Parteigänger der literarischen Moderne und jedem common sense so abhold wie ihr Kollege und Freund Gustave Flaubert. Ob in der Literatur oder der Malerei, ob Flaubert oder Courbet, im Rückblick werden die großen Künstler der Moderne oft umstandslos als die großen Künstler der Epoche schlechthin gesehen, doch für die Zeitgenossen stellte sich das anders dar. Dem heutigen Leser etwa ist Maxime Du Camp fast nur noch als Freund Flauberts ein Begriff; für viele der damaligen Leser war das Mitglied der Académie française Du Camp gewiss ein größerer Name als der des umstrittenen Skandalautors Flaubert. Im Augenblick von Flauberts Tod, ja selbst 1895, als Zola sein Buch Les romanciers naturalistes veröffentlichte, war der Kampf um die moderne Literatur noch nicht gewonnen.
Für den Prozess der Kanonisierung jenes Werks, das, nach Zola, »die Formel des modernen Romans« enthielt, gibt es noch zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ein Nachspiel, das dem heutigen Leser geradezu absurd erscheinen mag. »Flaubert schrieb schlecht«, so lautet kurz und bündig die Überschrift eines Artikels, den der seinerzeit hochberühmte und nun längst vergessene Romancier Louis de Robert am 14. August 1919 in La Rose rouge veröffentlicht. Obwohl es sich dabei um eine sehr kleine, elitäre Literaturzeitschrift handelt, schlägt die Angelegenheit so hohe Wellen, dass sie sich zu einer mit größter Leidenschaft und Aggressivität über mehr als zwei Jahre und in allen wichtigen Zeitungen und Zeitschriften geführten Debatte auswächst. In die Literaturgeschichte eingegangen ist sie schließlich durch ihre berühmtesten Teilnehmer, durch Albert Thibaudet, der seinerseits Marcel Proust zu seiner Antwort »Über den Stil von Flaubert« herausfordert. Ein Großteil der Querelen ist von heute gesehen uninteressant und fast lächerlich; zumindest diese beiden Autoren haben jedoch etwas Bleibendes zu Flaubert hinterlassen.
Der Anlass der Kontroverse ist nicht viel mehr als ein böser Schabernack, wie ihn Literaten einander spielen. Louis de Robert berichtet in seinem Artikel, er habe einem
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