Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
hat bei Flaubert immer einen sehr genauen, am Inhalt ebenso wie am Satzrhythmus orientierten Sinn. In einem Satz sind also Anfang, Verlauf und Ende immer bewusst gestaltet, und wenn ein solcher Satz z. B. auf ein wichtiges, betontes Substantiv oder Verb hin geschrieben ist, darf er auf deutsch nicht mit zufälligen Hilfsverben oder nachklappernden Präfixen enden.
»Madame Bovary, quand elle fut dans la cuisine, s’approcha de la cheminée. Du bout de ses deux doigts, elle prit sa robe à la hauteur du genou, et, l’ayant ainsi remontée jusqu’aux chevilles, elle tendit à la flamme, par-dessus le gigot qui tournait, son pied chaussé d’une bottine noire.« (2. Teil, Kapitel II)
Nachgezeichnet wird in dieser Passage der erste, gleichsam voyeuristische Blick, den Emma Bovarys zukünftiger Liebhaber Léon aus dem Hintergrund auf die ihm noch unbekannte, attraktive Frau wirft: »Auf der anderen Seite des Kamins stand ein junger Mann mit blondem Haar und betrachtete sie stumm«, heißt es gleich darauf. Das Entscheidende liegt in der Struktur der beiden Sätze und ihrer Wortstellung, denn diese folgt hochbewusst dem Blick des Mannes auf die Frau: beginnt also mit Wahrnehmung und Identifizierung der näher kommenden Emma Bovary, was selbstverständlich über das Gesicht erfolgt, geht anschließend am Oberkörper hinab zur Hand, zu den Fingern, die kokett den Kleidersaum nach oben ziehen, und heftet sich dann, das Bein im Flammenschein hinabgleitend, auf die entblößten Knöchel und die erotisch aufgeladenen Stiefelchen.
Wer versucht, diese Stelle zu übersetzen, bemerkt sofort, dass die deutsche Syntax die Stiefelchen unweigerlich von dem besonderen Platz verdrängt, an den sie der bekennende Fuß- und Schuhfetischist Flaubert gesetzt hatte; z. B. Ernst Sander:
»Als Madame Bovary in die Küche kam, trat sie gleich an den Herd. Mit zwei Fingerspitzen faßte sie ihr Kleid in der Kniegegend, zog es bis zu den Knöcheln herauf und wärmte ihre mit schwarzledernen Stiefeln bekleideten Füße an der Glut, in der die Hammelkeule am Spieße briet.«
Statt Fuß und Damenschuh die Hammelkeule (in Wahrheit eine Lammkeule). Modernere Übersetzungen bringen es wenigstens zu Feuer oder Glut, oder eben wieder nur zu abgetrennten Präfixen, wie Maria Dessauer 1996:
»Als sie in die Küche getreten war, ging Madame Bovary zum Kamin. Mit zwei Fingerspitzen faßte sie ihr Kleid in Kniehöhe, zog es bis zu den Knöcheln hoch und hielt über die sich am Bratspieß drehende Hammelkeule hinweg ihren mit einem schwarzen Halbstiefel bekleideten Fuß der Flamme entgegen.«
Doch keine Übersetzung endet, wie Flaubert endet; keine hat offenbar die zwingende Notwendigkeit, diese ganz und gar vom sinnlichen Blick geprägte, sozusagen »anatomische« Wortstellung zu bewahren, überhaupt nur erkannt, denn die Lösung ist möglich.
»Als Madame Bovary in der Küche war, trat sie an den Kamin. Mit zwei Fingerspitzen ergriff sie ihr Kleid in der Höhe des Knies, zog es hinauf bis zu den Knöcheln, und so, nah der Flamme, über der sich drehenden Lammkeule, wärmte sie ihren Fuß in seinem schwarzen Stiefelchen.« (S. 110)
2. Wortwahl und Sprachebene : Die vielleicht wesentlichste Neuerung Flauberts ist die Konsequenz, mit der er in die Perspektive der Figuren schlüpft – jedoch nie durch den ausdrücklichen Hinweis eines Erzählers, sondern ausschließlich durch die Sprache , durch die Wortwahl in jedem einzelnen Fall. Die folgende Passage hat besondere Berühmtheit erlangt, weil Erich Auerbach in seiner Studie Mimesis (1946), einem Grundtext der modernen Literaturwissenschaft, an ihr Flauberts Technik erläuterte, die Subjektivität der Figuren in die Sprache selbst hineinzunehmen.
»Mais c’était surtout aux heures des repas qu’elle n’en pouvait plus, dans cette petite salle au rez-de-chaussée, avec le poêle qui fumait, la porte qui criait, les murs qui suintaient, les pavés humides; toute l’amertume de l’existence lui semblait servie sur son assiette, et, à la fumée du bouilli, il montait du fond de son âme comme d’autres bouffées d’affadissement. Charles était long à manger; elle grignotait quelques noisettes, ou bien, appuyée du coude, s’amusait, avec la pointe de son couteau, à faire des raies sur la toile cirée.« (1. Teil, Kapitel IX)
Auerbach jedoch zitiert die Passage französisch – mit gutem Grund, denn liest man sie in den deutschen Übersetzungen nach, so werden seine Analysen vollkommen
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