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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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bevorzugten Techniken; ein berühmter Fall ist die Szene der Landwirtschaftsausstellung, wo die Reden der banalen Honoratioren und die banalen Reden der Verliebten einander kommentieren. Das folgende Beispiel gehört, aus gutem Grund, zu den verborgeneren Stellen dieser Art (und ich verdanke den Hinweis darauf Pierre Michon). Was in der berühmten Fiakerszene geschieht, ist allgemein bekannt, wie es geschieht, durchaus weniger. Hätte Staatsanwalt Pinard genauer gelesen, dann wäre ihm einige Kapitel später die Beschreibung aufgefallen.
»À chaque tournant, on apercevait de plus en plus tous les éclairages de la ville qui faisaient une large vapeur lumineuse au-dessus des maisons confondues. Emma se mettait à genoux sur les coussins, et elle égarait ses yeux dans cet éblouissement. Elle sanglotait, appelait Léon, et lui envoyait des paroles tendres et des baisers qui se perdaient au vent.« (3. Teil, Kapitel V)
    Doch auch die Übersetzer haben offenbar nicht bemerkt, welch groben Scherz Flaubert sich hier geleistet hat:
»Auf dem Sitzpolster knieend, tauchte sie ihre Blicke in diesen Glanz. Schluchzend flüsterte sie den Namen Leos vor sich hin, küßte ihn in Gedanken und rief ihm leise Koseworte nach, die der Wind verschlang.«
    Anders als bei Arthur Schurig muss die Übersetzung also durchaus so gestrickt sein, dass sie dem offensichtlichen, »normalen« Sinn der Szene entspricht, zugleich aber die Lektüre des zweiten, obszönen Doppelsinns möglich macht:
»Mit jeder Wegbiegung konnte man die Lichter der Stadt besser sehen, ihren weiten funkelnden Schleier über dem Häusermeer. Emma kniete sich auf die Polster, und ihr Blick verschwamm in diesem Gleißen. Sie schluchzte, rief Léon und schenkte ihm zärtliche Worte und Küsse, die im Winde verwehten.« (S. 348)

    Schließlich sei hier zur Erheiterung des Lesers noch auf den letzten Satz des Buches verwiesen: »Il vient de recevoir la croix d’honneur.« Dieser Satz war für den zeitgenössischen Leser höchst irritierend: Er beendet den Roman über Emma Bovarys Liebesleben mit einer äußerst platten Aussage über eine Nebenfigur, und er macht diese Aussage in der syntaktisch anspruchslosesten Form und mit den nichtssagendsten Worten; Flaubert folgt damit seinem Prinzip der Desillusionierung, das am Ende keinen dramatischen Höhepunkt will, sondern die flache Trivialität. Und so setzt der Autor des Apothekers langersehntes Kreuz der Ehrenlegion wie ein Siegel als definitives Schlusswort unter seinen Roman – kein Übersetzer ist ihm darin gefolgt: »Vor kurzem hat er das Kreuz der Ehrenlegion erhalten« ist die häufigste Form. Den Vogel abgeschossen aber hat Dr. Legné, der erste Übersetzer, der wohl glaubte, Flaubert einen Gefallen zu tun, wenn er in seiner Übersetzung dessen bewusste Glanzlosigkeit kräftig aufpolierte: »Er hat das Kreuz der Ehrenlegion erhalten und ist jetzt wirklich der glücklichste Sterbliche auf viele Meilen in der Runde.«

    Aus diesen kleinen Beispielen geht hervor, was das Ziel einer Neuübersetzung sein muss. Der ganze Roman muss Satz für Satz auf seine verschiedenen Bedeutungsebenen hin durchgehört werden; Satz für Satz muss entschieden werden, was den künstlerischen Sinn gerade hier , in jedem Einzelfall, trägt: Bedeutung, Wort- und Satzklang, Wort- und Satzrhythmus, Wortwahl, Sprachregister und so weiter.
    Das bedeutet aber auch, dass Lösungen erwogen werden müssen, die bei einem anderen Buch nicht zwingend wären, und selbst für unendlich viele Details, die anderswo als Kleinigkeiten erscheinen könnten. Kapitel II des Zweiten Teils beginnt: »Emma descendit la première«. Die Lakonie des kurzen Satzes, mit dem Emma ihren Schicksalsort Yonville zum ersten Mal betritt, verbietet es, hier mit dem lexikalisch naheliegenden Verb zu schreiben: »Emma stieg als erste aus«. Abgesehen von der Klanghäufung der s-Laute würde das Verb aussteigen mit abgetrenntem, nachgestelltem Präfix aus den Flaubertschen Satz und seine Prägnanz zerstören, und so muss ein untrennbares Verb gewählt werden, das die Endstellung von »la première« auch im Deutschen erlaubt: »Emma erschien als erste«, nämlich in der offenen Tür der Postkutsche, deren Ankunft von der gespannten Dorfbevölkerung erwartet wird.
    Immer wieder muss zwangsläufig vom bloß lexikalischen Wortlaut Flauberts abgewichen werden, um den literarischen Sinn seiner Sätze zu bewahren. Zum Beispiel im Ersten Teil, Kapitel IX wird vom Besuch des Vaters

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