Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
unverständlich. René Schickele übersetzt:
»Am schwersten war die Stunde der Mahlzeiten zu ertragen, wenn sie in dem kleinen Zimmer im Erdgeschoss saß. Der Ofen rauchte, die Tür knarrte, und die Mauern und der Fußboden waren feucht und kalt. Die ganze Trostlosigkeit ihres Daseins schien vor ihr auf dem Teller zu liegen, und bei dem Geruch des gekochten Rindfleischs überkam sie ein Ekel an allem. Charles aß mit großem Appetit, sie aber knackte ein paar Haselnüsse oder ritzte mit der Messerspitze das Wachstuch.«
Abgesehen von der großen Freiheit, mit der Schickele allgemein Flauberts Satzbau und Wortwahl behandelt, verwandelt er die Szene in die Außensicht eines auktorialen Erzählers. Mit »Am schwersten war die Stunde der Mahlzeiten zu ertragen …« wendet Schickele die Szene ins objektiv gesehene Allgemeine, während Flaubert in Wirklichkeit eine expressive Wendung aus Emmas innerer Empfindung transponiert; und die schöne Gemütlichkeit der Wendung »Charles aß mit großem Appetit« ist das schiere Gegenteil von Flaubert. Caroline Vollmann sagt, in der bislang letzten Übersetzung (2001), korrekter:
»Aber vor allem die Mahlzeiten waren ihr unerträglich, in diesem kleinen Raum, im Erdgeschoss, mit dem qualmenden Feuer, der quietschenden Tür, den schwitzenden Wänden und den feuchten Fliesen; sie hatte das Gefühl, die ganze Bitternis des Lebens liege vor ihr auf dem Teller, und mit dem Dampf des Siedfleischs schienen aus ihrem Innern weitere schale Schwaden aufzusteigen. Charles aß langsam; sie knabberte ein paar Haselnüsse oder vertrieb sich die Zeit damit, auf den Ellbogen gestützt mit der Spitze ihres Messers Striche in das Wachstuch zu ritzen.«
Aber auch sie übersieht das Wesentliche: Flaubert wählt umgangssprachliche, kolloquiale Formeln, die (in die dritte Person transponiert) eindeutig aus Emmas Subjektivität stammen und von ihr direkt ausgesprochen sein könnten: Mit »… qu’elle n’en pouvait plus …« stellt nicht ein Beobachter sachlich einen unerträglichen Moment fest, sondern der Ausdruck selbst variiert ein expressives »Je n’en peux plus«, »Ich kann nicht mehr, ich halt’s nicht mehr aus«. »Charles était long à manger …« sagt keinesfalls neutral »Charles aß langsam« und erst recht nicht positiv »… mit großem Appetit«, sondern entstammt einer zutiefst negativen Redewendung im Sinne von: »Der lässt sich beim Essen Zeit, der hat die Ruhe weg, er isst und isst«, und zeichnet damit Emmas gequälten, nahezu gehässigen Blick auf die Zufriedenheit ihres kauenden Gatten, die in ihrer Perspektive zu Selbstzufriedenheit wird. Die von Auerbach analysierte Subjektivierung von Flauberts Erzählperspektive betrifft eben nicht eine psychologische »Einfühlung«; der Autor realisiert sie vielmehr durch Wortwahl, Idiomatik und Satzbau bis in die kleinsten Details der Sprache . Ebensowenig ist einzusehen, warum man in der Wendung »toute l’amertume de l’existence lui semblait servie« das Verb servir in ein flaches liegen abschwächen sollte; die umgangssprachliche, wegwerfende Ausdrucksweise »serviert« bietet sich geradezu an:
»Doch vor allem zur Stunde der Mahlzeiten, da konnte sie nicht mehr, in diesem kleinen Raum zu ebener Erde, mit dem Ofen, der rauchte, der Tür, die quietschte, den Wänden, die schwitzten, dem feuchten Steinboden; all die Bitternis ihres Daseins schien ihr auf dem Teller serviert, und mit dem Dampf des Suppenfleisches stiegen vom Grund ihrer Seele immer weitere Ekelschwaden. Charles aß und aß; sie knabberte ein paar Haselnüsse oder vertrieb sich die Zeit und ritzte, den Ellbogen aufgestützt, mit der Messerspitze Linien ins Wachstuch.« (S. 90f.)
Nebenbei sei gesagt, dass beide Übersetzer auch sonst Flauberts Satzrhythmus wider seinen Sinn zerstören: Die Aufzählung »mit dem Ofen, der rauchte, der Tür, die quietschte, den Wänden, die schwitzten, dem feuchten Steinboden« projiziert – durch die obsessive dreimalige Wiederholung der gleichen Struktur Substantiv-Relativsatz und den abschließenden Bruch mit der Struktur Substantiv-Adjektiv – in eine sich objektiv gebende Beschreibung des Erzählers Emmas monomanische Ablehnung hinein (denn ein paar Seiten zuvor wurde dieselbe Wohnung ganz anders gesehen – mit dem freundlichen Blick des Ehemannes und in angenehmen, weitausschwingenden Sätzen).
3. Doppelsinn und Wortspiel : Die Möglichkeit, Worte und Sätze auf verschiedenen Sinnebenen zu lesen, gehört zu Flauberts
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