Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
anderen Ende dieses Bereichs, ein ins Abenteuerliche verliebter Geist, bewundernswürdig begabt für das Groteske und das Schreckliche, hat sich, als ein verspäteter Streiter, hinter Frédéric Soulié und Eugène Sue eingereiht. Doch den so reichen Fähigkeiten des Verfassers der Mystères de Londres und des Bossu gelang es ebensowenig wie denen so vieler unvergleichlicher Geister, das leichte und plötzliche Wunder dieser armen kleinen Ehebrecherin aus der Provinz zustande zu bringen, deren ganze Geschichte, ohne dramatische Verwicklungen, aus nichts als Trübsinn, Überdruß, verseufzten Tagen und einigen Augenblicken fiebernden Rausches besteht, die sie einem Leben entriß, das im Selbstmord endet.
Daß diese Schriftsteller, die entweder Dickens nacheifern oder sich in einer Attitüde à la Byron oder à la Bulwer gefallen, allzu begabt vielleicht, allzu verächtlich, es nicht, wie etwa schon ein Paul de Kock, verstanden haben, die morsche Schwelle der Popularität zu bezwingen, der einzigen unter den schamlosen Schönen, die mit Gewalt erobert zu werden verlangt, dies ihnen zum Vorwurf zu machen – oder sie etwa deshalb zu loben –, ist nicht meine Sache; ebenso weiß ich Gustave Flaubert keinen Dank dafür, daß er auf den ersten Streich errungen hat, worum andere sich ihr Leben lang bemühen. Höchstens könnte ich darin einen zusätzlichen Beweis für seine Mächtigkeit erblicken, und es könnte mich verlocken, die Gründe darzulegen, die den Geist des Autors in diese eher als in jene Richtung gelenkt haben.
Wie ich jedoch bereits sagte, befindet der Neuankömmling sich in einer mißlichen Lage; aus einem leider! beklagenswert einfachen Grunde. Seit mehreren Jahren hatte die Anteilnahme, die das Publikum den geistigen Dingen widmet, in ungewöhnlichem Grade abgenommen; sein Budget an Begeisterung schmolz immer mehr dahin. Die letzten Jahre unter Louis-Philippe hatten die letzten Ausbrüche einer Gesinnung gesehen, die sich noch der Erregung durch die Spiele der Einbildungskraft hingab; danach jedoch fand der neue Romancier sich einer völlig verbrauchten Gesellschaft gegenüber, – ja mehr als verbraucht, – verdummt und fraßgierig, der nichts ein solcher Greuel war als die poetische Erfindung, und die nichts liebte außer dem Besitz.
Unter derartigen Bedingungen mußte ein reichgenährter Geist, voller Begeisterung für das Schöne, doch geschult als ein kräftiger Fechter, der sich auf Gunst und Ungunst der Umstände versteht, sich gesagt haben: »Was ist das sicherste Mittel, alle diese matten Seelen aufzuwühlen? Sie wissen ja nicht, was ihnen gefallen würde; wirklichen Abscheu empfinden sie nur vor der Größe; die naive, glühende Leidenschaft, der poetische Überschwang macht sie erröten und verletzt sie. – Seien wir denn gewöhnlich in der Wahl unseres Gegenstandes, da der Leser des 19 . Jahrhunderts die Wahl eines zu hohen Gegenstandes als eine Zumutung empfindet. Und hüten wir uns sorglich, uns gehenzulassen und unsere eigene Sache zu vertreten. Mit Eiseskälte werden wir Leidenschaften und Abenteuer erzählen, an denen die Gemüter sich gemeinhin erhitzen; wir werden, wie es schulmäßig heißt, objektiv und unpersönlich sein.
Da man uns jedoch in letzter Zeit mit kindischem Schulgewäsch die Ohren vollgeschwätzt hat, da wir von einem gewissen literarischen Verfahren, Realismus genannt, vernommen haben – eine abscheuliche Beleidigung, allen sorgfältig Unterscheidenden ins Gesicht geschleudert, ein unbestimmtes und dehnbares Wort, das für die Menge nicht etwa eine neue Methode künstlerischer Schöpfung bezeichnet, sondern eine kleinliche Beschreibung des Beiläufigen, – so wollen wir uns die Verwirrung der Geister und die allgemeine Dummheit zunutze machen. Wir werden einen banalen Grund mit einem nervigen, farbenprächtigen, subtilen und genauen Stil überziehen. Das trivialste aller Abenteuer soll uns dazu dienen, die heißesten Empfindungen, die heftigsten Erregungen hineinzulegen. Die feierlichsten, die entscheidendsten Worte werden aus den dümmsten Mündern hervorgehen.
Und wo gedeiht die Dummheit am besten, welches ist das Milieu der größten Beschränktheit, das die meisten Albernheiten hervorbringt, in dem es von intoleranten Dummköpfen nur so wimmelt?
Die Provinz.
Und wer sind dort die unerträglichsten Akteure?
Die kleinen Leute, die sich in kleinen Verrichtungen abzappeln, deren Ausübung ihre Ideen verfälscht.
Und was ist die verbrauchteste Angelegenheit,
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