Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
gilt, wenn bis zur Trivialität verkommene Männer und Frauen ein lautes Zetergeschrei erheben über einen unglücklichen Autor, der geruht hat, mit der Keuschheit eines Rhetors einen Schleier des Ruhmes über Nachttisch-Abenteuer zu werfen, die immer abstoßend und grotesk sind, solang die Poesie sie nicht mit dem opalenen Schimmer ihrer Lampe umspielt.
Wenn ich diesem analysierenden Hang nachgeben würde, käme ich mit Madame Bovary niemals an ein Ende; dieses durch und durch suggestive Buch könnte einem einen ganzen Band voller Beobachtungen eingeben. So beschränke ich mich denn für den Augenblick auf die Bemerkung, daß mehrere der wichtigsten Episoden von den Kritikern anfangs entweder vernachlässigt oder getadelt wurden. Zum Beispiel: die Episode der mißglückten Operation des Klumpfußes, und die so bemerkenswerte, so trostlose, so wahrhaft moderne, wo die künftige Ehebrecherin, – denn sie steht erst am Beginn der abschüssigen Bahn, die Unglückliche! – sich an die Kirche um Beistand wendet, an die göttliche Mutter, an jene, die keine Entschuldigungen hat, um nicht immer bereit zu sein, an diese Pharmazie, wo keiner das Recht zu schlummern hat! Der gute Pfarrer Bournisien, der an nichts anderes denkt als an die Lausbuben seines Katechismusunterrichts, die zwischen den Bänken und Stühlen seiner Kirche herumturnen, antwortet in aller Einfalt: »Da Sie krank sind, Madame, und da Herr Bovary Arzt ist, warum vertrauen Sie sich nicht Ihrem Gatten an? «
Welche Frau, angesichts solcher Unzulänglichkeit, nähme diese Antwort des Geistlichen nicht für einen Freispruch, der sie ermächtigte, besinnungslos ihr Haupt in die wirbelnden Fluten des Ehebruchs zu tauchen, – und wer unter uns hat nicht, in einem unreiferen Alter und unter verstörenden Umständen, unweigerlich mit dem unzuständigen Priester Bekanntschaft gemacht?
VI
Da mir zwei Werke desselben Autors vorlagen ( Madame Bovary und Die Versuchung des heiligen Antonius, dessen Bruchstücke noch nicht in ein Buch zusammengefaßt wurden), hatte ich ursprünglich die Absicht, eine Art Parallele zwischen den beiden zu ziehen. Ich wollte Gleichungen aufstellen und Bezüge nachweisen. Es wäre mir ein leichtes gewesen, unter dem feinmaschigen Gewebe von Madame Bovary die hohen Fähigkeiten der Ironie und des Lyrismus nachzuweisen, welche aus der Versuchung des heiligen Antonius so überdeutlich hervorleuchten. Hier hatte der Dichter sich nicht verkleidet, und seine Bovary, die sich der Versuchung durch alle Dämonen der Verblendung, der Häresie, durch alle Unzuchtsteufel der Materie ringsum ausgesetzt sieht, – kurzum, sein heiliger Antonius, erschöpft von allen Narrheiten, die uns umlagern, hätte bessere Argumente zu seiner Verteidigung vorgebracht als seine unscheinbare bürgerliche Erfindung. – In diesem Werk, von dem der Autor uns bisher leider nur Fragmente geliefert hat, gibt es hinreißende Stücke; ich spreche nicht nur von dem prächtigen Gastmahl des Nebukadnezar, von der wunderbaren Erscheinung jener närrischen kleinen Königin von Saba, einer tanzenden Miniatur auf der Netzhaut eines Asketen, von der charlatanesken und emphatischen Vorführung des Apollonius von Tyana, hinter ihm sein Kornak, oder vielmehr sein Aushalter, der hirnlose Millionär, den er mit sich durch die Welt schleift; – ich möchte die Aufmerksamkeit des Lesers vor allem auf jene leidende, unterirdische und aufbegehrende Fähigkeit richten, die das ganze Werk durchzieht, diese finstere Gangader, die es erhellt, und die als Führer durch dieses wimmelnde Pandämonium der Einsamkeit dient.
Es wäre mir, wie ich bereits sagte, ein leichtes gewesen zu zeigen, wie Gustave Flaubert in Madame Bovary die hohen lyrischen und ironischen Fähigkeiten, die in der Versuchung rückhaltlos zum Ausdruck kommen, vorsätzlich gedämpft hat, und daß dieses letztere Werk, die geheime Kammer seines Geistes, für den Dichter und den Philosophen offensichtlich das interessantere bleibt.
Vielleicht werde ich eines Tages das Vergnügen haben, dieses Geschäft zu besorgen.
Anmerkungen
Zeittafel zur Biographie
1812
Der Arzt Achille-Cléophas Flaubert (geb. 1784 ) heiratet am 10 . Februar Anne-Justine-Caroline Fleuriot (geb. 1793 ).
1813
Geburt von Achille Flaubert am 9 . Februar.
1821
Am 12 . Dezember wird Gustave Flaubert im Hôtel-Dieu in Rouen geboren.
1822
Am 29 . Juni stirbt Jules-Alfred im Alter von drei Jahren und fünf Monaten; zwei zwischen Achille und
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