Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
steckte. Jede Bewegung, die sie machte, um Karten auf den Tisch zu werfen, ließ ihr Kleid auf der rechten Seite nach oben rutschen. Von ihrem hochfrisierten Haar fiel ein Braun auf den Rücken, das allmählich blasser wurde und langsam im Dunkel verschwand. Ihr Kleid hing auf beiden Seiten des Sessels herab, bauschte sich, schlug Falten und breitete sich über den Boden. Wenn Léon manchmal spürte, dass seine Stiefelsohle daraufstand, zuckte er zurück, als wäre er auf etwas Lebendiges getreten.
War die Kartenpartie zu Ende, spielte der Apotheker mit dem Arzt Domino, Emma hingegen wechselte den Platz am Tisch und blätterte mit aufgestützten Armen in der Illustration . Sie hatte ihr Modejournal mitgebracht. Léon setzte sich neben sie; gemeinsam betrachteten sie die Stiche und warteten am Ende der Seite, bis der andere fertig war. Oft ersuchte sie ihn, Verse vorzulesen; Léon deklamierte in schleppendem Ton und mit sorgsam erlöschender Stimme, wenn es um Liebe ging. Aber das Klackern der Dominosteine verdross ihn; Monsieur Homais war gut, er schlug Charles jedesmal haushoch. Hatten sie dreimal hundert Punkte erreicht, streckten sich beide vor dem Kamin aus und schliefen sogleich. Das Feuer verglomm in der Asche; die Teekanne war leer; Léon las noch immer. Emma lauschte ihm und drehte mechanisch den Lampenschirm, auf dessen Stoff Pierrots in Kutschen gemalt waren und Seiltänzerinnen mit ihren Balancierstangen. Léon verstummte, auf sein schlafendes Publikum deutend; nun redeten sie leise, und dieses Gespräch dünkte sie noch angenehmer, weil niemand es hörte.
So entstand zwischen ihnen eine Art Bündnis, ein reger Austausch von Büchern und Romanzen; Monsieur Bovary, den keine Eifersucht plagte, wunderte sich nicht.
Zum Namenstag bekam er einen schönen phrenologischen Schädel, bis hinunter zum Brustkorb mit Ziffern gesprenkelt und blau angemalt. Das war eine Aufmerksamkeit des Kanzlisten. Auch sonst zeigte er sich äußerst zuvorkommend, machte für ihn sogar Besorgungen in Rouen; und als das Buch eines Romanciers die Kaktus-Närrischkeit in Mode brachte, kaufte Léon welche für Madame, hielt sie in der Hirondelle auf den Knien und stach sich die Finger an ihrem borstigen Haar.
Sie ließ am Fenster für ihre Töpfchen ein kleines Blumenbrett mit Gitter anbringen. Auch der Kanzlist hatte bald sein hängendes Gärtlein; sie erspähten einander, wenn sie an ihren Fenstern ihre Pflanzen umhegten.
Von all den Dorffenstern war eines noch belebter; denn sonntags, von früh bis spät, und jeden Nachmittag, wenn genug Licht war, konnte man in einer Dachluke Monsieur Binets hageres Profil über die Drechselbank gebeugt sehen, deren monotones Gesurr hinüberdrang bis in den Lion d’or .
Eines Abends, als Léon nach Hause kam, fand er in seinem Zimmer eine Decke aus Samt und Wolle, mit Blättern auf hellem Grund, er rief Madame Homais, Monsieur Homais, Justin, die Kinder, die Köchin, erzählte es seinem Chef; alle wollten sie einen Blick auf diese Decke werfen; aus welchem Grund war die Frau des Arztes gegen den Kanzlisten so großzügig ? Das schien verwunderlich, und man dachte nun endgültig, sie wäre seine Herzensfreundin .
Er förderte diese Vermutung, weil er ständig von ihrem Liebreiz sprach und von ihrem Geist, sodass Binet einmal ziemlich grob erwiderte:
»Was schert mich das, ich gehöre nicht zu ihren Kreisen!«
Er zermarterte sich das Hirn, weil er nicht wusste, wie er ihr eine Erklärung machen sollte; und da er immerzu schwankte zwischen der Furcht, ihr zu missfallen, und der Scham, so kleinmütig zu sein, weinte er aus Verzagtheit und Verlangen. Dann fasste er tatendurstig Entschlüsse; er schrieb Briefe, die er zerriss, setzte sich Fristen, die er hinausschob. Oft machte er sich auf den Weg mit dem Vorsatz, alles zu wagen; aber diese Absicht verflog, sobald er vor Emma stand, und wenn Charles unerwartet auftauchte und ihn einlud, in seinen Boc zu steigen, mit ihm gemeinsam irgendeinen Patienten in der Umgebung zu besuchen, ging er sofort darauf ein, grüßte Madame und verschwand. War ihr Mann denn nicht auch etwas von ihr?
Emma dagegen fragte sich nicht, ob sie ihn liebte. Die Liebe, glaubte sie, müsse jäh kommen, mit Blitz und Donnerschlag – ein Himmelssturm, der hereinbricht über das Leben, es durcheinanderwirbelt, den Willen ausreißt wie Blätter und das ganze Herz hinabstürzt in den Abgrund. Sie wusste nicht, dass der Regen auf Häuserterrassen Seen bildet, wenn die Traufen
Weitere Kostenlose Bücher