Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
Vom Netzwerk:
stets ein ganz besonderes Taschenmesser in seinem Schreibpult.
    Zurück nach Yonville folgten sie dem Wasserlauf. In der warmen Jahreszeit war der Uferweg breiter und legte bis zu ihren Fundamenten die Gartenmauern bloß, von denen eine Treppe mit wenigen Stufen hinabführte zum Fluss. Er strömte lautlos dahin, rasch und dem Anschein nach kalt; lange schmale Gräser bogen sich unter dem Sog und entfalteten sich wie aufgelöstes grünes Haar in seinem klaren Nass. An der Spitze eines Schilfrohrs oder auf dem Blatt einer Seerose kletterte oder saß zuweilen ein feingliedriges Insekt. Die Sonne durchdrang mit einem Strahl die kleinen blauen Kügelchen der Wogen, die aufeinander folgten und erstarben; die ausgeästeten alten Weiden spiegelten im Wasser ihre graue Rinde; auf der anderen Seite, ringsum, schien die Wiese leer. In den Bauernhöfen war Essenszeit, und die junge Frau und ihr Begleiter hörten beim Gehen nichts als den Takt ihrer Schritte auf dem erdigen Pfad, die Worte, die sie einander sagten, und das Rascheln von Emmas Kleid, das überall um sie herum knisterte.
    Die Gartenmauern, aus deren Hauben Flaschenscherben ragten, waren heiß wie die Glaswände eines Treibhauses. Zwischen den Ziegelsteinen spross Goldlack; und mit dem Rand ihres aufgespannten Schirms streifte Madame Bovary im Vorbeigehen ihre welken Blüten, die als gelber Staub zu Boden rieselten, oder es strich zuweilen eine Ranke von Geißblatt und Klematis, die weit herabhingen, für einen Augenblick über die Seide und verfing sich in den Fransen.
    Sie plauderten von einer Truppe spanischer Tänzer, die demnächst in Rouen am Theater auftreten sollte.
    »Gehen Sie hin?« fragte sie.
    »Wenn ich kann«, antwortete er.
    Hatten sie einander sonst nichts zu sagen? Ihre Augen jedenfalls redeten von ernsteren Dingen; und während sie sich mühten, banale Sätze zu finden, spürten beide ein gleiches Sehnen in sich aufsteigen; es war wie ein Flüstern der Seele, tief, anhaltend, und übertönte ihre Stimmen. Zutiefst verwundert über dieses unbekannte Entzücken, kam ihnen nicht in den Sinn, von diesem Gefühl zu sprechen oder nach seiner Ursache zu forschen. Künftiges Glück verströmt, wie ein tropisches Gestade, auf die vor ihm liegende endlose Weite seine ureigene Trägheit, eine duftende Brise, und man ergibt sich diesem Rausch, ohne nach dem Horizont zu fragen, den man nicht sieht.
    An einer Stelle war die Erde zertrampelt von den Hufen der Tiere; man musste auf dicke grüne Steine treten, die hier und da im Schlamm lagen. Oft blieb sie stehen und schaute eine Weile, wohin sie ihr Stiefelchen setzen sollte – dann wartete sie schwankend auf dem wackligen Stein, die Ellbogen in der Luft, vornübergebeugt, mit suchendem Blick, und lachte, weil sie Angst hatte, in die Pfützen zu fallen.
    Als sie vor ihrem Garten angekommen waren, öffnete Madame Bovary das kleine Gatter, eilte die Stufen hinauf und verschwand.
    Léon kehrte zurück in seine Kanzlei. Der Chef war nicht da; er warf einen Blick auf die Akten, dann schnitt er sich eine Feder, nahm schließlich seinen Hut und ging.
    Er ging zur Weide, oben auf den Höhen von Argueil, wo der Wald beginnt; er legte sich unter die Tannen und blickte durch seine Finger in den Himmel.
    »Wie ich mich langweile!« sagte er sich, »wie ich mich langweile!«
    Er fand sich bemitleidenswert, weil er in diesem Dorf leben musste, mit Homais als Freund und Monsieur Guillaumin als Arbeitgeber. Letzterer, ganz von seinen Geschäften in Anspruch genommen, eine Brille mit Goldbügeln und einen roten Backenbart auf weißer Halsbinde tragend, hatte keinen Sinn für die Feinheiten des Geistes, obwohl er sich eine steife englische Art gab, die den Kanzlisten in der ersten Zeit beeindruckt hatte. Was die Frau des Apothekers betraf, so war sie die beste Gattin in der ganzen Normandie, sanft wie ein Schaf, hing zärtlich an ihren Kindern, ihrem Vater, ihrer Mutter, ihren Cousins, weinte über das Unglück anderer, vernachlässigte ihren Haushalt und hasste Mieder; – war jedoch so träge in ihren Bewegungen, so langweilig, wenn man ihr zuhörte, von so gewöhnlichem Aussehen und so unbeholfen im Gespräch, dass er niemals gedacht hatte, obwohl sie dreißig war, obwohl er zwanzig war, obwohl sie Tür an Tür schliefen und er jeden Tag mit ihr sprach, sie könne für irgendwen eine Frau sein oder noch etwas anderes von ihrem Geschlecht besitzen als das Kleid.
    Und wen gab es noch? Binet, ein paar Kaufleute, zwei, drei

Weitere Kostenlose Bücher